Ein riesiges Steuerrad zieht am Strand die Blicke der Spaziergänger auf sich. Es scheint aus Holz zu sein, ist hellgrün gestrichen und von klassischer Form als stamme es von einem altehrwürdigen Dreimaster. Es scheint schon Patina zu tragen, als habe es schon alle Weltmeere befahren. Das Steuerrad ragt zur Hälfte aus dem Sand hervor und zeigt sich vor dem Meer wie die untergehende Sonne. Vielfältig sind die Assoziationen, die dieses Kunstwerk des dänischen Künstlers Simon Dybbroe Møller auslöst. Die Skulptur aus Bronze mit dem Titel „The Navigator Monument“ steht am Strand von Middelkerke-Westende und gehört zu Beaufort 2018, der diesjährigen Ausgabe der Triennale der zeitgenössischen Kunst an der Küste von Flandern.
Die Kunstriennale
19 Werke von 18 Künstlern in neun Küstengemeinden sind noch bis zum 30. September dieses Jahres am Strand, auf der Promenade, in den Dünen oder auf Plätzen in den Orten zu sehen. Bereits seit 2003 wird diese Kunstschau am Meer alle drei Jahre veranstaltet und einige der Werke der vergangenen Jahre sind von den Gemeinden gekauft worden und somit dort verblieben. So gibt es noch viel mehr als die aktuelle Ausgabe der Triennale zu sehen. Mit den Jahren ist bereits ein langgestreckter Skulpturenpark entstanden, der zu Entdeckungen an der Küste einlädt. Das Meer, die Wellen, der Sand, die Seeluft und der Kunstgenuss – was für eine herrliche Kombination!
Ich schaue fasziniert auf das Steuerrad. Und Moment, war da nicht noch was? Jetzt fällt es mir ein, woran mich der Anblick auch noch erinnert. Lange Zeit war das aufragende Steuerrad ein ikonisches Zeichen für das Internet, denn es war das Logo des frühen Internet-Browsers Netscape Navigator. Das Internet wurde immer schon mit Metaphern aus der Seefahrt oder aus dem Wassersport beschrieben, denn schließlich surfen wir alle im Netz. Und es passt auch, dass dieses riesige Steuerrad hier vor der Nordsee zu sehen ist, auf deren Grund die mächtigen Tiefseekabel liegen, mit denen das Internet ermöglicht wird. So ist das Kunstwerk äußerst beziehungsreich und erweist sich dabei zugleich als sehr dekorativ am Strand. Damit ist es natürlich auch ein beliebtes Fotomotiv. Schon jetzt steht fest, dass es von der Gemeinde gekauft wird und über die Triennale hinaus an diesem Ort verbleiben wird.
Eine markante Erscheinung bildet auch das Kunstwerk „Eternity – Poseidon“ von Xu Zhen auf der Promenade von De Haan. Eine antike Statue scheint da aufgestellt zu sein. Vögel haben sich auf ihr niedergelassen, so wie es häufig die vielen Tauben in den Städten tun. Die Bronzefigur basiert tatsächlich auf einer Skulptur von Artemision, einer griechischen Statue aus dem Jahr 460 vor Christus, und stellt Poseidon oder Zeus dar. Der aus China stammende Künstler Xu Zhen kopierte dieses antike Werk und ergänzte es originell. Denn die Tiere, die darauf hocken, erweisen sich beim genaueren Hinsehen nicht als Tauben, sondern als rotbraune, wohl schon geröstete Pekingenten. Eine bewusst überraschende Kombination hat er damit geschaffen. Die Pekingente gilt als nationales Symbol Chinas. So vermischt Xu Zhen bekannte Chiffren aus der westlichen und östlichen Kultur, beide sind vertraut, und doch wirkt die Begegnung ungewöhnlich.
Ausdruckstark zeigt sich auch das Werk „Men“ der dänischen Künstlerin Nina Beier, das am Strand von Nieuwpoort aufgestellt ist. Die Künstlerin hat sich mit heroischen Reiterdenkmälern befasst, die in vergangenen Jahrhunderten die Macht und
Kampfeslust von Männern hoch zu Ross demonstrieren sollten. Beier hat Überbleibsel von solchen Denkmälern gesammelt, die ausrangiert wurden. Aus ihnen hat sie Elemente zu einer neuen Formation zusammengestellt, und diese steht nun als neues Werk auf einem Wellenbrecher am Strand. Ich laufe über den Sand zu dem Kunstwerk, um es aus nächster Nähe zu betrachten. Bei Ebbe ist das möglich. Bei Flut hingegen wird es von Wasser umspült und die Reiter scheinen aus den Wellen auf den Strand zuzureiten, als wollten sie das Land, das sie im Blick haben, erobern.
Eine ausdrucksstarke, durchaus beklemmend wirkende Arbeit hat die Künstlerin geschaffen und gekonnt platziert. Denn sie bezieht das Meer direkt mit ein und macht die Gezeiten zu einem Teil des Werkes. Bei vielen Beiträgen der Triennale zeigt sich, dass der Strand und die Küste nicht nur irgendeinen beliebigen Standort bilden, sondern der Bezug zum Meer ganz bewusst hergestellt wird. „Bei Beaufort wird die See als Ort beleuchtet, der unbeherrschbar ist und uns gleichzeitig mit dem Rest der Welt verbindet. Jeder teilnehmende Künstler kommt aus einem Land, das ans Meer grenzt“, erklärt Heidi Ballet, Kuratorin von Beaufort 2018. Weiterlesen …