Eigentlich ist es ein Wunder, dass es den Genter Altar noch gibt. In der gesamten europäischen Kunstgeschichte wurde wohl kein anderes Meisterwerk so oft auseinandergerissen und verschleppt: Seit seiner Aufstellung im Jahr 1432 war der Genter Altar Opfer von gleich dreizehn Verbrechen und sieben Diebstählen. Hier nur die Kurzfassung: Er wurde während des „Bildersturms“im Jahr 1566 beinahe zerstört, während der Französischen Revolution konfisziert und seine Paneele wurden zweimal gestohlen. Napoleon war der Erste, der Teile des Altars aus dem Land entführen ließ. Rund 100 Jahre lang schmückten sich Berliner Museen mit den Flügeln des Genter Altars bis die Gemälde nach dem Ersten Weltkrieg wieder nach Gent zurückgegeben wurden.
Während des 2. Weltkriegs waren es dann die Nazis, die den in Südfrankreich versteckten Altar und zahlreiche andere Kunstschätze aus ganz Europa für das geplante Führermuseum raubten und ins Salzbergwerk von Altaussee wegsperrten. Nur dem beherzten Eingreifen einer kleinen Gruppe stiller Helden ist es zu verdanken, dass der Kunstschatz vor dem Eintreffen der Alliierten nicht gesprengt wurde und dass die Amerikaner den Altar finden und wohlbehalten wieder zurückgeben konnten.
Diese wahre Geschichte bildet den Stoff für den Spielfilm „Monuments Men“ von und mit George Clooney. Bis auf eine Tafel, die seit bald 100 Jahren verschwunden ist, sind alle Teile längst wieder vereint. Diese Tatsache allein würde schon ausreichen, um den Genter Altar richtig zu feiern. Aber da war ja auch noch die umfangreiche Restaurierung, bei der die Experten nicht nur Patina entfernt, sondern auch bisher Verborgenes wieder sichtbar gemacht haben. Große Teile des Gemäldes waren nämlich im 17. Jahrhundert übermalt worden – eine damals übliche Art ein Gemälde zu restaurieren. So werden ab 2020, beim letzten der drei Themenjahre „Flämische Meister 2018-2020“, nicht nur Jan van Eyck und sein Meisterwerk gefeiert und gewürdigt, es gibt auch viel Neues zu sehen.
Ein umfangreiches Jubiläumsprogramm mit vielen Highlights
Ich kann gar nicht alles aufzählen, was vor allem in Gent, aber auch in Brügge, wo van Eyck lange gelebt hat, auf die Beine gestellt wird: Bedeutende Ausstellungen und Angebote, die das Werk und Leben von van Eyck in vielen Facetten anschaulich machen (eine Übersicht und aktuelle Infos findet Ihr hier. Aber ich kann Euch schon mal einen Vorgeschmack geben.
Wie van Eyck die Malerei revolutionierte
Mit Jan van Eyck steht nun nach dem Barockmaler Rubens und Pieter Bruegel ein weiterer herausragender Künstler im Fokus: der Erfinder oder zumindest der Perfektionierer der Ölmalerei. Mit seiner unübertroffenen Technik, seinen wissenschaftlichen Kenntnissen und seiner einzigartigen Beobachtungsgabe hat er die Ölmalerei revolutioniert. Und er hat als Begründer der altniederländischen Malerei eine neue Kunstepoche nördlich der Alpen eingeleitet. Durch seine Farbwahl und durch den neuartigen Firnis erstrahlten seine Bilder im Gegensatz zu den damals sonst üblichen matten Tempera-Bildern in ganz besonderem Glanz. Und nie zuvor hatte ein Maler die Wirklichkeit so greifbar gemacht.
Zum Anbeten schön
Im Mittelpunkt des Themenjahres steht natürlich das von Jan und seinem Bruder Hubert van Eyck geschaffene prachtvolle Altargemälde, das 4,4 mal 3,4 Meter misst und als einer der schönsten Kunstschätze der Welt gilt. Vielleicht kennt ihr das weltberühmte Motiv, die Anbetung des Lamm Gottes? Für mich persönlich ist es das schönste Lamm der Kunstgeschichte. Die singenden Engel finde ich aber ebenso zauberhaft. Aber es gibt ja noch so viel mehr zu entdecken, denn selbst wenn die Altarflügel geschlossen sind, kann man allein acht Tafeln sehen.
Eine optische Revolution
Die restaurierten Außentafeln könnt ihr ab Februar in der Ausstellung „Jan van Eyck. Eine optische Revolution“ im Museum für Schöne Künste in Gent aus nächster Nähe bestaunen. Die Tafeln werden hier im Kontext mit weiteren Werken von van Eyck präsentiert – eine einzigartige Gelegenheit, denn weltweit gibt es nur rund 20 Bilder des Künstlers und über die Hälfte davon kommt nach Gent. Ich bin sicher: So viel van Eyck gibt’s so schnell nicht wieder.
Nach der Ausstellung werden die Tafeln wieder mit dem Rest des Altars in der St.-Bavo-Kathedrale vereint. Dort ist er noch bis Anfang Oktober in der Villa-Kapelle zu sehen. Danach zieht er innerhalb des Gotteshauses in das neue Besucherzentrum um, wo er in einem völlig neuen Rahmen präsentiert wird. Hier könnt ihr dann in die Geschichte und die vielen spannenden Geschichten des Meisterwerks eintauchen Es gibt also das ganze Jahr über die Gelegenheit zum Anbeten oder einfach nur Anschauen des neuen alten Altars.