Nein, man könne nicht sagen, Rubens sei ein großer Maler gewesen. Peter Paul Rubens war weit mehr: „Das ganze Gusto, sein präzises Wissen, der unbändige, kraftvolle Drive in ihm und in seiner Kunst, da schießt einem doch heute noch das Blut durch den Körper.“ Ben van Beneden, der Direktor des Rubenshauses in Antwerpen, ist hingerissen von dem Mann, dessen Erbe er im Rubenshuis hütet.
„Caravaggio oder Johannes Vermeer sind fantastisch“, sprudelt es aus van Beneden heraus, „absolut großartig, manchmal ganz große Meister der Stille. Aber doch, Entschuldigung, limitiert, wenn man diesen revolutionären Ozean Rubens sieht“. Rembrandt ja, „auch der genial, aber gegen Rubens…?“ Wobei sich der 61-Jährige gleich korrigiert: „Rubens ist eigentlich gar nicht vergleichbar.“
Rubens (1577–1640) war ein vielseitiger Künstler, er leitete in Antwerpen sein großes Atelier, bildete Lehrlinge des Pinselstrichs aus, galt als Kosmopolit mit gierigem Interesse an der Wissenschaft, er war Kunstsammler, als Diplomat in Europa unterwegs, vielsprachig sowieso und traf sich in Antwerpen mit Kollegen wie van Eyck oder Adriaen Brouwer. „Ein Tausendsassa“, heißt es im Rubenshaus. Sicher, sein Rubens habe, sagt Direktor van Beneden, wie viele Künstler im Barock, auch „Arbeiten nur als Job gemacht, als Auftrag; aber wenn er richtig drin war – wow!“
Ben van Beneden kommt auf ein Portrait zu sprechen, das Rubens von seiner Frau gemalt hat: „Ihr Blick, ihr Fleisch und sie ist ja fast nackt. Diese schiere Tiefe, die alles sprengt. Fantastisch, einfach fan-tas-tisch.“ Sorry, aber wer so schwärmt von einer gemalten Dame, was kann der noch zu seiner eigenen Frau sagen? Ben van Beneden lacht. Doch, er habe ihr schon sein schönstes Kompliment gemacht: „Dich hätte Rubens malen sollen.“
Auf ins Rubenshuis, wo der große Meister arbeitete, wohnte und sein Studio leitete. Ein enger Oneway-Rundgang in einem engen Haus mit teils hohen, dunklen Holzdecken und knarzenden, sehr ausgelatschten Treppen: Neben einigen Rubenswerken hängen hier Bilder von Zeitgenossen: Brueghel, van Dyck, Jordaens. Der Engel von Jacopo Tintoretto ist bekannt als Bowies Tintoretto. Popstar David Bowie hatte das Bild vor mehr als 30 Jahren erworben, nach seinem Tod konnte es ein unbekannter Privatsammler bei Sotheby´s ersteigern und stellte es umgehend dem Rubenshaus als Dauerleihgabe zur Verfügung. Seit Juni 2017 ist das Bild der stolzeste Neuzugang, hängt allerdings etwas versteckt, morgens von Lichtstrahlen der Sonne durch ein Fenster schräg bespielt; scheinbar störend – aber vielleicht ist es auch der Heilige Geist oder ein lichterner Gruß von Bowie von ganz oben.
Rubens Selbstportrait im Rubenshuis
Rubens´ Selbstportrait fehlt. Es ist eines von vieren, die es auf der Welt gibt (Venedig, Wien und im Privatbesitz von Elisabeth II.). Das Antwerpener Bild des 53-jährigen Rubens, das seinen Schülern als Vorbild für die Portraitkunst diente, ist im Januar 2017 ins Brüsseler KIK gekommen, das Königliche Institut für Kunstpatrimonium. Dort wurde es nahe der ursprünglichen Perfektion restauriert, so original wie nur menschenmöglich. Restaurieren heißt heute: Rechnergesteuerte Detailanalyse – mikromillimeterweise, die Pigmentechemie katalogisieren, Blei- und Eisengehalt der Farben aufspüren, vor allem nach Spuren späterer Übermalungen fahnden, die alten Ausbesserungen abscannen und entfernen, ohne Rubens´ Originalstrich anzutasten. So ein Bild, fast 400 Jahre alt, ist hochgradig verletzlich.
In einem Video im Rubenshaus berichtet eine Restauratorin mit leuchtenden Augen, sie verbringe seit Monaten die meiste Arbeitszeit beim Blick durch Lupen und hochauflösende Mikroskope. Über ein Jahr ist das Selbstportrait im Jungbrunnen-Institut. Kein Zweifel: Bei der Rückkehr wird Rubens strahlen.
Ben van Beneden kann das hymnischer ausdrücken. Die Restauratorin beneide er, dass sie sich „ein Jahr lang täglich dem großen Rubens step by step nähern konnte. Niemand kommt ihm wirklich näher.“ Vor allem: „Sie kann den Original-Pinselstrich berühren!“ Als die Frau ihm davon erzählte, „erregte mich ihre Erregung umso mehr“. Jetzt seien die teils dilettantischen Nachbesserungen vor allem des 20. Jahrhunderts entfernt, sagt van Beneden. „All die Jahre wa
r etwas dazwischen, das spürte man.“ Nur ganz spartanisch wolle man, vor allem in den durch den Rahmen angegriffenen Ecken des Gemäldes, in Nuancen nachbessern. Aber alles jederzeit schnell wieder entfernbar. Damit blickecht nichts dazwischen sei.
Ab dem 21. April können alle die Erregung zu teilen versuchen. Dann wird Rubens´ Rubens wieder im Rubenshaus hängen – als Auftakt das Stadtfestivals „Antwerpen Barock 2018: Rubens inspiriert“. Ab Juni wird es in der ganzen Stadt um die großen Meister von damals gehen (und mit „barocker Frauenpower“ um mysteriöse Meisterinnen wie Michaelina Wautier), aber auch um Parallelen etwa mit neuen Arbeiten von Jan Fabre heute.