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Wissensdurst in der Bierstadt – die Universität in Leuven

von Meike Nordmeyer

Ein Palast für die wissenschaftlichen Bücher – die Bibliothek der Universität in Leuven (oder auch Löwen) macht wirklich was her. Das prächtige Gebäude im flämischen Renaissance-Stil mit Giebeln, Gauben und Statuen erhält durch den 87 Meter hohen Glockenturm zusätzliche Bedeutung. Es thront wirkungsvoll am östlichen Rand des Monseigneur Ladeuzeplein, einem weiten, leeren Platz. Ich staune, während mir Luc Philippe, mein Guide für meine Fahrradtour durch Leuven, an diesem Platz von der langen und wechselvollen Geschichte der Universität in dieser Stadt und insbesondere von diesem Bibliotheksgebäude erzählt.

Die Geschichte der Universität in der flämischen Stadt reicht weit zurück. Im Jahr 1425 wurde die Universität auf Bitten des Herzogs Johann IV. vom Papst Martin V. gegründet. Diese Tradition besteht in der heutigen Katholischen Universität Leuven fort, das macht sie zur ältesten der noch bestehenden katholischen Universitäten der Welt, so verkündet es stolz eine Broschüre des Stadtmarketings. Heute nennt sie sich Associatie KU Leuven, denn sie besteht als ein Zusammenschluss von fünf Hochschulen und einer Universität. Insgesamt sind rund 103.000 Studierende eingeschrieben.

Beeindruckende Architektur

Trotz dieser langen Geschichte stammt das Gebäude der Bibliothek nicht aus der Gründungszeit, wie man bei seinem Anblick meinen könnte. Es wurde ab 1921 nach Plänen des amerikanischen Architekten Whitney Warren im historisierenden Stil nach Art der flämischen Renaissance gebaut und dabei auch als Kriegsmahnmal ausgestattet. Der Hintergrund dafür: Die deutschen Truppen, die im August 1914 in Leuven einfielen, setzten die damalige Universitätshalle an der Naamsestraat und die jahrhundertealte Bibliothek sowie weite Teile der Stadt in Brand. Mehr als 300.000 Bücher gingen damals verloren. Die Empörung über diese Zerstörung war groß, nicht nur in Belgien.

Noch während des Krieges sammelten Unterstützungskomitees in den verbündeten und neutralen Ländern Geld und Bücher für den Wiederaufbau der Universitätsbibliothek. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde vor allem mit amerikanischer Unterstützung das große Gebäude am Ladeuzeplein als neue Bibliothek errichtet.

Zur Universitätsbibliothek von Leuven gehört dieser fein ausgestaltete Lesesaal. © Meike Nordmeyer

Seine Fassade wurde mit zahlreichen Bildhauerarbeiten ausgestattet und diese erinnern an die Kriegszeiten, an den Brand 1914 und ebenso an die Solidarität der Verbündeten in dieser Zeit und an ihre Hilfe beim Wiederaufbau. Ein triumphierender Charakter wurde dabei durchaus mit angelegt, wenn etwa die große mit Helm und Rüstung ausgestattete Madonnafigur den preußischen Adler mit ihrem Schwert durchbohrt. 1921 war die Grundsteinlegung, 1928 wurde die Bibliothek neu eröffnet. Doch wenige Jahre später wütete wieder ein Krieg. Während des Einfalls der deutschen Armee im Mai 1940 ging das Gebäude erneut größtenteils in Flammen auf. Die Schäden waren diesmal noch verheerender, 900.000 Bücher wurden ein Opfer des Feuers. Nach dem Wiederaufbau konnte die Bibliothek erst 1951 wieder bezogen werden.

Heute steht das Bauwerk stolz und prächtig da und mahnt an die grauenhafte Zerstörung von zwei Weltkriegen. Der Gebäudekomplex kann besichtigt werden und das lohnt sich, denn dazu gehört ein Einblick in den schmucken Großen Lesesaal, und mit einem zusätzlichen Ticket ist auch der Aufstieg auf den Turm möglich, von dem sich ein hervorragender Blick über die Stadt bietet.

Vom Turm der Universitätsbibliothek bietet sich ein hervorragender Blick über die Dächer von Leuven.
© Meike Nordmeyer

Eine Bibliothek mit Aussicht

Einen Aufzug gibt es im Turm übrigens nicht, da müssen die vielen Stufen hinauf schon tapfer erklommen werden. In den kleinen Räumen auf jeder Etage im Turm ist etappenweise eine Ausstellung zu den Kriegszeiten, zu Zerstörung und Wiederaufbau des Gebäudes eingerichtet, viele historische Fotos und Dokumente sind dazu abgebildet. Diese interessanten Infotafeln bieten eine gute Gelegenheit, sich auf jeder Etage vom Treppensteigen etwas auszuruhen und zu lesen. Und so kommt man gut informiert immer weiter nach oben. Dort gibt es dann den weiten Blick über die Dächer der Stadt zu genießen. Gut zu sehen sind von dort auch die schlanken, reich verzierten Türmchen des gotischen Rathauses und die Sint Pieterskerk am Grote Markt.

Natürlich gibt es noch viel mehr zu sehen von der KU Leuven, denn die Gebäude der zugehörigen Hochschulen und Universitäten sind über die ganze Stadt verteilt. Luc radelt schon bald mit mir weiter, um mir einen Eindruck davon zu geben. Dabei fahren wir auch in Stadtteile, die herrlich im Grünen liegen. Da stehen wir auf einmal in einer parkähnlichen Anlage und schauen auf Schloss Arenberg, das sich auf einer weiten Rasenfläche präsentiert. Das Gebäude aus dem 16. Jahrhundert ist auch ein Teil der Universität.

Das Schloss Arenberg

Die Domäne Arenberg wurde mitsamt dem Schloss im 17. Jahrhundert Eigentum der Herzöge von Arenberg, einer deutschen Familie, die Kunst und Wissenschaft vielfach förderte. 1916 schenkte sie das Schloss zusammen mit dem 29 ha großen Park der KU Leuven. Das schmucke Gebäude beherbergt heute die Fakultät Ingenieurswissenschaften und ist der Mittelpunkt eines grünen Campus‘ für die Wissenschaft & Technologie-Gruppe. Dazu gehört beispielsweise auch das Imec, das größte europäische Forschungszentrum im Bereich der Nanoelektronik und der Nanotechnologie.

Schloss Arenberg gehört auch zur Universität von Leuven.
© Meike Nordmeyer

Alte Gebäude und moderne Wissenschaft also, eine bewährte Kombi. Und was zu einer Uni-Stadt natürlich auch gehört, sind reichlich Kneipen – auch da erweist sich die Stadt als rekordverdächtig. Leuven gilt als Hauptstadt der Bierregion Flämisch-Brabant. Die größte Brauereigruppe der Welt, Anheuser-Busch InBev, hat dort ihren Hauptsitz. Sie produziert auch das international bekannte, einst in Leuven kreierte Stella-Artois-Bier. Passend dazu gibt es in Leuven eine besonders hohe Anzahl an Kneipen, in denen das süffige Getränk ausgeschenkt wird. Bei schönem Wetter, das zum Draußensitzen einlädt, wirkt der von alten Giebelhäusern gesäumte Oude Markt wie eine einzige riesige Terrasse. Denn er ist von mehr als 40 Kneipen umgeben, deren Gäste sich dort zusammenfinden.

„Die längste Theke Europas“

So kommt es auch, dass dieser Platz als „die längste Theke Europas“ bezeichnet wird. Moment mal, das kommt mir doch als Besucherin aus Nordrhein-Westfalen sehr bekannt vor. Auf meinen Hinweis, dass die Stadt Düsseldorf für sich reklamiere, die längste Theke der Welt zu sein, ist man vorbereitet. Luc nickt und grinst: „Ja, davon haben wir natürlich schon gehört. Da befinden wir uns doch in guter Gesellschaft“, sagt er, während wir zum Ende unserer Runde die Fahrräder abstellen und in einer der Kneipen am Ladeuzeplein auf ein Bier einkehren – das süppeln wir mit Blick auf die Universitätsbibliothek mit ihren tausenden Büchern.

Am Vormittag und bei trübem Wetter ist am Oude Markt noch nicht so viel los. Das kann sich aber schnell ändern.
© Meike Nordmeyer

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