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Flämische Meister

Flämische Meister, Flandern, Gent, Kirsten Lehnert

Der Genter Altar – zum Anbeten schön

von: Kirsten Lehnert

Eigentlich ist es ein Wunder, dass es den Genter Altar noch gibt. In der gesamten europäischen Kunstgeschichte wurde wohl kein anderes Meisterwerk so oft auseinandergerissen und verschleppt: Seit seiner Aufstellung im Jahr 1432 war der Genter Altar Opfer von gleich dreizehn Verbrechen und sieben Diebstählen. Hier nur die Kurzfassung: Er wurde während des „Bildersturms“im Jahr 1566 beinahe zerstört, während der Französischen Revolution konfisziert und seine Paneele wurden zweimal gestohlen. Napoleon war der Erste, der Teile des Altars aus dem Land entführen ließ. Rund 100 Jahre lang schmückten sich Berliner Museen mit den Flügeln des Genter Altars bis die Gemälde nach dem Ersten Weltkrieg wieder nach Gent zurückgegeben wurden.

Während des 2. Weltkriegs waren es dann die Nazis, die den in Südfrankreich versteckten Altar und zahlreiche andere Kunstschätze aus ganz Europa für das geplante Führermuseum raubten und ins Salzbergwerk von Altaussee wegsperrten. Nur dem beherzten Eingreifen einer kleinen Gruppe stiller Helden ist es zu verdanken, dass der Kunstschatz vor dem Eintreffen der Alliierten nicht gesprengt wurde und dass die Amerikaner den Altar finden und wohlbehalten wieder zurückgeben konnten.

Diese wahre Geschichte bildet den Stoff für den Spielfilm „Monuments Men“ von und mit George Clooney. Bis auf eine Tafel, die seit bald 100 Jahren verschwunden ist, sind alle Teile längst wieder vereint. Diese Tatsache allein würde schon ausreichen, um den Genter Altar richtig zu feiern. Aber da war ja auch noch die umfangreiche Restaurierung, bei der die Experten nicht nur Patina entfernt, sondern auch bisher Verborgenes wieder sichtbar gemacht haben. Große Teile des Gemäldes waren nämlich im 17. Jahrhundert übermalt worden – eine damals übliche Art ein Gemälde zu restaurieren. So werden ab 2020, beim letzten der drei Themenjahre „Flämische Meister 2018-2020“, nicht nur Jan van Eyck und sein Meisterwerk gefeiert und gewürdigt, es gibt auch viel Neues zu sehen.

Ein umfangreiches Jubiläumsprogramm mit vielen Highlights

Ich kann gar nicht alles aufzählen, was vor allem in Gent, aber auch in Brügge, wo van Eyck lange gelebt hat, auf die Beine gestellt wird: Bedeutende Ausstellungen und Angebote, die das Werk und Leben von van Eyck in vielen Facetten anschaulich machen (eine Übersicht und aktuelle Infos  findet Ihr hier. Aber ich kann Euch schon mal einen Vorgeschmack geben.

Wie van Eyck die Malerei revolutionierte

Portrait of a Man in a Turban, Jan van Eyck, Google Cultural Institute

Mit Jan van Eyck steht nun nach dem Barockmaler Rubens und Pieter Bruegel ein weiterer herausragender Künstler im Fokus: der Erfinder oder zumindest der Perfektionierer der Ölmalerei. Mit seiner unübertroffenen Technik, seinen wissenschaftlichen Kenntnissen und seiner einzigartigen Beobachtungsgabe hat er die Ölmalerei revolutioniert. Und er hat als Begründer der altniederländischen Malerei eine neue Kunstepoche nördlich der Alpen eingeleitet. Durch seine Farbwahl und durch den neuartigen Firnis erstrahlten seine Bilder im Gegensatz zu den damals sonst üblichen matten Tempera-Bildern in ganz besonderem Glanz. Und nie zuvor hatte ein Maler die Wirklichkeit so greifbar gemacht.

Zum Anbeten schön

Im Mittelpunkt des Themenjahres steht natürlich das von Jan und seinem Bruder Hubert van Eyck geschaffene prachtvolle Altargemälde, das 4,4 mal 3,4 Meter misst und als einer der schönsten Kunstschätze der Welt gilt. Vielleicht kennt ihr das weltberühmte Motiv, die Anbetung des Lamm Gottes? Für mich persönlich ist es das schönste Lamm der Kunstgeschichte. Die singenden Engel finde ich aber ebenso zauberhaft. Aber es gibt ja noch so viel mehr zu entdecken, denn selbst wenn die Altarflügel geschlossen sind, kann man allein acht Tafeln sehen.

Eine optische Revolution

Die restaurierten Außentafeln könnt ihr ab Februar in der Ausstellung „Jan van Eyck. Eine optische Revolution“ im Museum für Schöne Künste in Gent aus nächster Nähe bestaunen. Die Tafeln werden hier im Kontext mit weiteren Werken von van Eyck präsentiert – eine einzigartige Gelegenheit, denn weltweit gibt es nur rund 20 Bilder des Künstlers und über die Hälfte davon kommt nach Gent. Ich bin sicher: So viel van Eyck gibt’s so schnell nicht wieder.

Nach der Ausstellung werden die Tafeln wieder mit dem Rest des Altars in der St.-Bavo-Kathedrale vereint. Dort ist er noch bis Anfang Oktober in der Villa-Kapelle zu sehen. Danach zieht er innerhalb des Gotteshauses in das neue Besucherzentrum um, wo er in einem völlig neuen Rahmen präsentiert wird. Hier könnt ihr dann in die Geschichte und die vielen spannenden Geschichten des Meisterwerks eintauchen Es gibt also das ganze Jahr über die Gelegenheit zum Anbeten oder einfach nur Anschauen des neuen alten Altars.  

Flandern, Kultur, Leuven, Meike Nordmeyer

Wenn Stadtgeschichte lebendig wird – Besuch in der Peterskirche in Leuven

von Meike Nordmeyer

Ruhig thront sie am Groten Markt, die Sankt Peterskirche (Sint Pieterskerk) in Leuven. Dass das Gebäude auf der anderen Seite des Platzes ihr bei den Besuchern der Stadt immer erstmal die Show stiehlt, kann ihr nichts anhaben. Denn sie weiß, auch sie wird noch bemerkt werden und sie kann die Besucher in ihr Inneres locken, denn sie hat dort viel zu bieten. Der Blick der Touristen fällt freilich erstmal auf das Stadthuis, das Gotische Rathaus, dieses Schatzkästchen, dessen Fassade über und über mit gotischem Maßwerk, mit Figuren samt Baldachinen, schlanken Türmchen und Dachgauben verziert ist. Es ist eine Pracht, die jeden staunen lässt. Auch mir ging es natürlich so. Was stand ich fasziniert davor!

Das reich verzierte gotische Stadthuis, das Rathaus von Leuven, zieht am Groten Markt erstmal alle Blicke auf sich. Foto: © Meike Nordmeyer

Der Blick für das Detail

Erst nach einer Weile fiel mein Blick auf die schönen schmalen Giebelhäuser, die sich neben dem Durchgang zur Naamsestraat an dem Platz aufreihen. Dann habe ich mich umgedreht und die Sankt Peterskirche in den Blick genommen. Das im 15. Jahrhundert errichtete Gebäude bildet freilich das größte an dem Platz und zählt zur Brabanter Spätgotik. Ihr Äußeres wirkt schlicht und erhaben durch die maßvollen Proportionen der Architektur. An der Außenseite sorgen die sieben Kranzkapellen des Chors für eine rhythmische Gliederung.

Der schlanke spitze Turm auf dem Dach, die sogenannte Laterne auf der Vierung, fällt sogleich ins Auge. Dieser wurde später ergänzt, er stammt aus dem Jahr 1726. Die ursprünglichen Pläne für die Kirche sahen vor, dass sie einen mächtigen dreiteiligen Turm, also einen mit drei Spitzen erhalten sollte. Für die mittlere Spitze war dabei eine Höhe von 170 Metern gedacht. Doch während der Bauarbeiten stellte sich heraus, dass der Untergrund dafür zu instabil war. Auf einer Höhe von etwa 50 Metern wurde der Bau eingestellt. Nach mehreren Einstürzen des bis dahin gebauten Turms wurde dieser 1613 bis auf die Turmbasis abgerissen. So erinnert die deutlich erkennbar unvollendete Vorderseite der Kirche heute noch an die ehrgeizigen Pläne, mit denen man ganz offenbar zu hoch hinaus wollte.

Der hohe, lichtdurchflutete Innenraum der Sankt Peterskirche in Leuven. Foto: © Meike Nordmeyer

Eintreten und staunen

Im Inneren besticht die Kirche durch einen hellen hohen Raum, der trotz der mächtigen Wände elegante Leichtigkeit ausstrahlt. Dann fällt auch gleich die markante Kanzel in dunklem Holz mit reichen Schnitzereien auf. Viele Schätze birgt die Kirche. Im Chorumgang ist ein Museum untergebracht, in dem sie bislang zu sehen waren, darunter Monstranzen und Kelche aus Edelmetallen und zudem 14 Gemälde flämischer Meister. Das Museum ist jedoch derzeit geschlossen wegen Renovierungsarbeiten. Denn in der Kirche hat man viel vor, um die Schätze bald noch viel besser zu präsentierten.

Das Altarbild „Das letzte Abendmahl“ von Dieric Bouts ist in der Peterskirche in Leuven zu sehen und damit in dem Gebäude, für das es im 15. Jahrhundert geschaffen wurde. Foto: © Rudi Van Beek / M – Museum Leuven PLAATS : Leuven

Altarbild von Dieric Bouts, für die Peterskirche einst geschaffen

Zwei herausragende Gemälde aus dem Bestand der Kirche stammen von dem Maler Dieric Bouts. Neben dem „Martyrium des heiligen Erasmus“ findet vor allem sein großes Altarbild „Das letzte Abendmahl“ besondere Beachtung. Es ist zwar nicht so weltberühmt wie der von Jan Van Eyck geschaffene Genter Altar, wird aber unter Kunstkennern ebenfalls hoch geschätzt. Das Reizvolle daran ist auch: In der Peterskirche lässt sich das Gemälde von Bouts an dem Ort betrachten, für den es im 15. Jahrhundert geschaffen wurde. Es ist derzeit nicht wie eigentlich üblich im Chorumgang platziert, sondern in einer vorderen Seitenkappelle, so dass es auch während der Renovierungsarbeiten der Kirche besichtigt werden kann.

Im Zentrum des Altarbilds von Bouts, also auf der großformatigen Mitteltafel, ist die Darstellung des letzten Abendmahls von Jesus mit seinen Jüngern zu sehen. Diese zeigt der Maler in einem üblichen Wohnraum seiner Zeit. Auch die anderen Szenen spielen in einem solchen Raum oder in ganz natürlicher Umgebung außerhalb, etwa auf einem Weg durch die hügelige Landschaft, und im Hintergrund ist städtische Bebauung zu sehen. Der Künstler bettet damit die Geschichten des Alten und Neuen Testamentes in eine realistische Szenerie ein und lässt sie damit und ebenso mit der plastischen Darstellung der Figuren vor dem Auge des Betrachters lebendig werden. Vor allem damit erweisen sich die Werke als modern und wegweisend für die damalige Zeit.

Eine Kapelle der Bierbrauer

Ich laufe weiter durch die Kirche, um den Raum und viele Details noch genauer zu erkunden, und Moment mal, das ist doch Hopfen, der da in Stein gemeißelt ist. Richtig, in der Stadt geht es eben auch ganz irdisch und süffig zu und deshalb gibt es hier auch eine Kapelle der Bierbrauer. Auch daran wird deutlich, dass die Braukunst in Leuven immer schon eine wichtige Rolle gespielt hat. (Siehe dazu diesen Artikel von mir über Leuven). Den Bierbrauern ging es offensichtlich wirtschaftlich sehr gut, denn die Kapelle ist mit Marmor verziert und nicht mit Holz, wie es sich an der ebenfalls vorhandenen Kapelle der Landwirte zeigt. Darauf macht mich Klara Rowaert vom M – Museum Leuven aufmerksam.

Eine neue Dimension der Ausstellung

Klara Rowaert berichtet mir von dem Vorhaben, das man mit der Renovierung in der Peterskirche umsetzen wird. Bei der Neueröffnung im Frühjahr wird das Museum Leuven, das für die Kunstschätze zuständig ist, eine ganz neue Ausstellungsgestaltung und eine innovative Begleitung mittels Mixed Reality (Virtual und Augmented Reality) präsentieren. Die Besucher können dann VR-Brillen bei ihrem Rundgang durch das Gebäude nutzen. Durch diese betrachten sie die Wirklichkeit mit einer zusätzlich hinzugefügten digitalen Ebene. Gezeigt werden ihnen nicht nur die Kirche, sondern auch andere bedeutende Punkte in der Stadt in alter Zeit. So können die realen in der Kirche ausgestellten Werke in der historischen Zeit, in der sie geschaffen wurden, erlebt werden. Damit wird die Stadtgeschichte vor dem Auge des Betrachters lebendig.

Und der Vorteil der Technologie ist: Sie lässt sich umsetzen, ohne baulich in die Architektur der Kirche eingreifen zu müssen. „An 12 verschiedenen Stationen wird etwas gestaltet“, erklärt Projektkoordinatorin Rowaert und sie verspricht „ein Besuchererlebnis, das alle Sinne anspricht“. Auch das Modell des dreiteiligen Turms wird an einer der Stationen zu sehen sein. Es zeigt, wie gigantisch hoch dieser einst geplant war. Es ist klar, auf die neue Ausstellung darf man gespannt sein! Sie wird noch ein Grund mehr, nach Leuven zu reisen.

Im historischen Gemäuer übernachten: Ein altes Kloster wurde zu Martin’s Kloosterhotel umgestaltet. Foto: © Meike Nordmeyer

Nach meinen ausgedehnten Besichtigungen in Leuven finde ich es nun sehr angenehm, dass ich es nicht weit habe zu meiner Unterkunft und sich diese passenderweise auch in historischem Gemäuer befindet. Ich laufe über den Groten Markt, dann weiter über den Oude Markt und darüber noch ein Stück hinaus und komme schon bald am Martin’s Kloosterhotel an. Der Gebäudekomplex eines einstigen Klosters wurde behutsam zu einem Hotel umgebaut. Viel von der alten Gebäudestruktur ist dort noch erhalten. Von meinem großzügigen Zimmer unterm Dach habe ich einen schönen Blick in eine alte Gasse von Leuven. Und für einen Spaziergang am Abend zum belebten Oude Markt habe ich es auch nicht weit. Das ist gut, denn dort kann ich in einer der zahlreichen Kneipen am Platz noch die Ergebnisse der traditionsreichen Braukunst dieser Stadt erkunden und ein wichtiges Sinneserlebnis ergänzen.

Infos zur Kirche, zu den Gemälden von Dieric Bouts und den Renovierungsarbeiten findet ihr hier.

Mehr über Leuven lesen:
Leuven als Universitätsstadt und Bierstadt

Antwerpen, Flämische Meister, Flandern, Kirsten Lehnert, Kultur

Madonna trifft Tolle Grete – Zu Besuch bei zwei ungewöhnlichen Frauen

Bei meinem letzten Besuch in Antwerpen hatte ich eine besondere Begegnung mit zwei wundervollen Frauen. Die eine war länger weg, hat sich etwas aufhübschen lassen und strahlt jetzt richtig. Die andere war vorher noch nie hier, ist zwar mehr als 500 Jahre alt, aber so was von zeitlos! Die Rede ist von Grete und Madonna. Ich traf sie inmitten von dunkel vertäfelten Räumen mit wunderschönen Ledertapeten.

Eindrucksvoll präsentiert: die Sammlung im Museum Mayer van den Bergh in Antwerpen

Es handelt sich um zwei herausragende Kunstwerke, die gerade in der Ausstellung  „Madonna trifft Tolle Grete“ im Museum Mayer van den Bergh in Antwerpen gezeigt werden: die legendäre „Dulle Griet“ (tolle Grete), eines der berühmtesten Werke von Pieter Bruegel d.Ä. (1525-69), und die geheimnisumwitterte Madonna vom französischen Hofmaler Jean Fouquet (1420–71). Unterschiedlicher können zwei Bilder und Frauen wohl nicht sein.

Die Eine: ländlich, lustig, etwa skurril, in einer Umgebung voller kurioser Gestalten. Das Gemälde – wie so oft bei Bruegel ein wahres Wimmelbild – war früher als eher düstere, groteske Landschaft mit einem dunkelroten Himmel und vielen Brauntönen bekannt. Nach zweijähriger Restaurierung kann man das Meisterwerk seit Anfang des Jahres wieder an seinem angestammten Patz hier im Museum bestaunen. Wer es früher schon mal gesehen hat, wird sich wundern: Es sieht es jetzt viel frischer aus, Firnisschichten und spätere Übermalungen wurden entfernt, und nun strahlt das Bild wieder in seiner ursprünglichen Farbenpracht. Absolut sehenswert!

Eines der Highlights der Sammlung: die „Dulle Griet“ von Pieter Bruegel (c) Museum Mayer van den Bergh Antwerpen

Ihrer Zeit voraus

Die Andere ist hier nur bis zum 31. Dezember 2020 zu Gast: die berühmte „Madonna von Melun“, eine Tafel aus einem Diptychon aus dem 15. Jahrhundert. Der Maler Jean Fouquet gilt als einer der bedeutendsten Künstler an der Schwelle von der Spätgotik zur Frührenaissance und hat ein faszinierendes Bild geschaffen: Mit ihrer elfenbeinfarbenen, fast marmornen Haut wirkt die Madonna wie eine Skulptur. Die gespitzten roten Lippen, die kugelige, entblößte Brust und der Hintergrund aus blauen und roten Engeln erscheinen dabei unglaublich modern. Dass diese Madonna mehr als 500 Jahre alt ist (und damit noch älter als die dolle Grete), sieht man ihr wahrlich nicht an. Zeitlos modern oder einfach seiner Zeit voraus?  Durs Grünbein sprach in der „ZEIT“ in Zusammenhang mit dem Bild einmal von einem „Meisterwerk des gotischen Surrealismus“ – wie passend!

Jean Fouquet, Madonna von Melun (c) KMSKA, Lukas-Art in Flanders vzw, Foto Hugo Maertens

Der Entdecker der Tollen Grete

So unterschiedlich die beiden Damen sind, so verbindet sie doch etwas Besonderes: Beide sind Prachtstücke aus privaten Sammlungen, die in dieser Ausstellung gemeinsam präsentiert werden. Fritz Mayer van den Bergh (1858–1901) war Ende des 19. Jahrhunderts der größte Kunstsammler der Stadt und seiner Zeit weit voraus. Er sammelte bereits mittelalterliche Kunst der Niederlande und die Kunst der Renaissance, als diese noch ein Schattendasein fristeten. Besonderes Interesse hatte er an Pieter Bruegel d. Ä. Er gilt als Entdecker der „Tollen Grete“ und konnte auch das Werk „Zwölf Flämische Sprichwörter“ von Pieter Bruegel erwerben.

Jozef Janssens, Portrait von Fritz Mayer van den Bergh, 1901, Museum Mayer van den Bergh

Drei Jahre nach seinem frühen Tod mit nur 43 Jahren verwirklichte seine Mutter seinen Traum vom eigenen Museum. Heute ist das Museum Mayer van den Bergh eines der ältesten Museen der Welt, die speziell für eine einzige Sammlung errichtet wurden. Von außen ist das würdevolle, neogotische Gebäude eher unscheinbar, so dass es mir bei meinen letzten Besuchen nie aufgefallen ist. Zu Unrecht, denn das Museum entpuppt sich im Inneren als wahre Schatztruhe, ein Kunstwerk an sich mit den prächtigen Holzvertäfelungen und den bunten Bleiglasfenstern. Man braucht schon ein paar Stunden, wenn man sich alle oft so liebevoll ausgestatten Räume in Ruhe anschauen will.

Fritz und Florent

Ein weiterer ebenso leidenschaftlicher Sammler war Florent van Ertborn (1784–1840). Seine Sammlung, zu der auch die Madonna von Fouquet zählt, ist heute im Besitz des Museums der Schönen Künste Antwerpen, das gerade wegen Renovierungsarbeiten geschlossen ist. Umso schöner, dass hier nun erstmals seit Jahren wieder einige Meisterwerke aus seiner Sammlung gezeigt werden. In der Ausstellung begegnet man also auch nicht nur den beiden eindrucksvollen Frauen, sondern auch diversen anderen Sammlerstücken. Und vor allem lernt man die beiden Männer kennen, denen wir es zu verdanken haben, dass wir Grete und Madonna auch heute noch bewundern können.

Brüssel, Flämische Meister, Flandern, Kultur

Zum 450. Todestag von Pieter Bruegel d. Ä.

Wenn Engel fallen und Fische fliegen

von Kirsten Lehnert

Es klingt irgendwie komisch, wenn man sagt, dass man einen Todestag feiert. Sagen wir also lieber: wir begehen ihn. Oder wir würdigen den Mann, der am 9. September 1569 – also vor genau 450 Jahren – in Brüssel gestorben ist: Pieter Bruegel der Ältere, der flämische Meister, der mit seinen Bildern die Kunstwelt nachhaltig geprägt hat. Seit einigen Monaten berichten wir an dieser Stelle schon über die zahlreichen Ausstellungen und Aktionen anlässlich dieses Jubiläums. Aber es gibt immer noch Neues zu erleben und entdecken. Im Frühjahr habe ich Euch schon durch Brüssel geführt, wo der flämische Meister einen Großteil seines Lebens verbracht hat. Nun möchte ich diesen Rundgang fortsetzen und Euch noch ein paar Tipps für den Herbst geben.

Beyond Bruegel
Beyond Breugel, © Plein publiek

Eintauchen in Bruegels Welt

Von seinem großen Vorbild Hieronymus Bosch inspiriert hat Bruegel zeitlebens sehr detailreich gemalt. Um all die kleinen Bilder im Bild zu erkennen, muss man schon ganz genau hinsehen. Die Multimedia-Inszenierung „Beyond Bruegel“ kam mir da sehr entgegen. Hier kann man im wahrsten Sinne des Wortes in Bruegels Welt und seine Wimmelbilder eintauchen. Die Bilder werden in einer 360 Grad-Installation in gigantischer Auflösung großflächig an die Wände projiziert und animiert. So werden auch die kleinsten Details aus Bruegels Werk sichtbar. Da fallen die Engel herab, fliegen Kugelfische durch die Luft und über den Fußboden ergießen sich virtuelle Wellen. Wer immersive art noch nicht erlebt hat, kann sich hier auf ein ganz neues Kunst-Gefühl freuen. „Beyond Bruegel“ ist noch bis Januar 2020 im Dynastiegebäude auf dem Kunstberg zu sehen.

Durch das „Hallepoort“ in ein neues Bruegel Universum

Hallepoort

Ein weiteres virtuelles Tor ins Bruegel Universum öffnet sich am 19. Oktober im „Hallepoort“. Im mythenumwobenen Stadttor, das der berühmte Maler früher sicher häufig durchschritten hat, gibt die Ausstellung „Back to Bruegel“ spannende Einblicke ins 16. Jahrhundert. Dort werden auch Originalschätze aus der Neuen Welt, Musikinstrumente und wissenschaftliche Messgeräte präsentiert, wertvolle Leihgaben aus den Königlichen Museen für Kunst und Geschichte. Von Eurer Zeitreise könnt Ihr Euch in einem der gemütlichen Lokale am Fuße des Stadttores, etwa der Brasserie Bruegel, erholen. Zugegeben, anlässlich des Jubiläumsjahres „bruegelt“ es in Brüssel an fast jeder Ecke – zahlreiche Restaurants bieten „Bruegel-Menüs“ an, das traditionelle Sauerbier Lambic wird nun als „Bruegel-Bier“ angepriesen und in diversen Schaufernstern entdeckt man den großen Meister – aber dieses Lokal hieß  auch vor dem Jubiläumsjahr so.

Brasserie Brueghel

Aber zurück zum Künstler selbst. Dieser war, was Wenige wissen, weit mehr als der „Bauernbruegel“ mit seinen vielfarbigen Gemälden. Im Laufe seines Lebens gestaltete er ungefähr sechzig Drucke (als Grafiker war er also weit produktiver als als Maler): Es waren die Drucke, die seinen Weltruhm begründeten und Bruegel spielte eine Schlüsselrolle in der Entwicklung der  Druckgrafik in Flandern, das sich Mitte des 16. Jahrhunderts zum internationalen Zentrum für die Herstellung von und den Handel mit Drucken entwickelte. Die Königlichen Bibliothek Brüssel ist im Besitz einer einzigartigen Sammlung von Bruegels Arbeiten auf Papier. Die schönsten Stücke werden nun exklusiv für die Sonderausstellung „Bruegels Welt in Schwarz und Weiß“ aus dem Lager geholt. Ihr könnt sie ab dem 15. Oktober in der Königlichen Bibliothek Brüssel sehen.

Die Bruegel Street Art Route

Street Art Bruegel Guitar Rue de la Rasière – Sistervatstraat
© visit.brussels, Jean-Paul Remy, 2019

Zwischen all diesen Museumsbesuchen empfehle ich euch, einfach mal durch die Straßen der Stadt zu schlendern. Wer die Augen offen hält und hochschaut, kann auch entdecken, wie der alte Meister noch heute junge Künstler inspiriert. Mein Tipp: folgt einfach der Bruegel-Street-Art-Route, die 14 ganz unterschiedliche Kunstwerke umfasst.

Ein Abstecher nach Antwerpen

Zum Schluss empfehle ich noch einen kurzen Abstecher nach Antwerpen. Hier lohnt es sich, der Tollen Grete einen Besuch abzustatten. Wer das ist, und was diese einfache Bäuerin mit einer Madonna zu tun hat, das verrate ich demnächst an dieser Stelle.

Flämische Meister, Flandern, Janett Schindler, Kultur

Mit Bruegel nach Bokrijk

von Janett Schindler

Ich liege auf dem Boden einer riesigen Scheune und schaue in einen Spiegel über mir. Als Teil eines sehr alten Gemäldes. Ich bin Teil von Pieter Bruegels „Der Kampf zwischen Karneval und Fasten“. Ein Bild aus dem Jahr 1559. Wie genau ich Teil dieses Bildes wurde und warum nicht nur Bruegel-Fans unbedingt nach Bokrijk reisen sollten – das erfahrt ihr hier!

Bokrijk – ein Freilichtmuseum

Die Domein Bokrijk ist ein ehemaliges Landgut mit einer bewegten Geschichte, die 1252 begann. Das Wort Bokrijk stammt vom Buscurake (Reich an Buchen). Ein Wald umgibt auch heute zu einem großen Teil das Gelände des Museums. Abtei, Bauernhof, Landgut – bis das Museum 1958 eröffnet wurde verging einige Zeit.

© Janett Schindler

Die Idee des Museums? Historische Gebäude aus Flandern langfristig zu erhalten. Insgesamt 140 historische Gebäude sind hier zu finden. Das älteste Haus stammt aus dem Jahre 1507.  Just aus jener Zeit also in der Pieter Bruegel als Künstler vor allem in und um Brüssel tätig war. Anlässlich des Bruegel-Jahres 2019 widmet sich das Freiluftmuseum dem Künstler auf 11 Stationen.

Die 11 Stationen der “World of Bruegel”

Am Eingang werden wir von Jaak Meyssen erwartet.  Mit “Willkommen in Bokrijk!” begrüßt er uns in einem recht guten Deutsch. Schon im Eingangsbereich fallen mir die die roten Markierungen im Park auf. “Dies ist der Bruegelparcour!” berichtet Jaak. Insgesamt 11 Häuser und/oder Orte beziehen sich auf die Kunst und das Leben von Bruegel.

© Janett Schindler

Im Infocenter erhalte ich ein “Narrenarmband”. Mit einem virtuellen “Hut”, der sich auf meinem Band befindet, kann ich auf Schatzsuche gehen und unterwegs Objekte digital sammeln – die zum “Der Kampf zwischen Karneval und Fasten” – Kunstwerk passen. Auf dem Armband können zudem Bilder gespeichert und die Tour später noch einmal erlebt werden.

Auch wenn “The World of Bruegel” in Bokrijk nur bis zum 20.10.2019 läuft – Bruegel findet hier immer statt. Ein großer Teil des Freiluftmuseums ist stark vom Renaissance-Künstler beeinflusst. Josef Weyns, der erste Kurator von Bokrijk hat sich bei der Konzeption des Parks stark von den Bildern von Bruegel dem Älteren inspirieren lassen.

© Janett Schindler

Vor allem in den Museumsteilen Haspengau und auch in Ost- und Westflandern erkennen Kunstbegeisterte sehr häufig Ähnlichkeiten.

Wir gehen auf Entdeckungsreise – und ich verweile etwas länger in der Scheune Lommel-Kattenbos. Hier zeigt sich wie talentiert Pieter Bruegel der Ältere in Landschaftsmalerei war. In der Gemäldeserie von 1565 zeichnet Bruegel die Monate auf. Ein Gemälde fehlt und wurde bisher nie gefunden – dies wurde vom belgischen Künstler Frits Jeuris gemalt und passt perfekt in die Bruegel-Serie. Oder erkennt ihr den Unterschied?

Die Jäger im Schnee, Die Heimkehr der Herde, Die Kornernte, die Heuernte und der Düstere Tag sind als Kopie in Bokrijk zu finden. Das Frühlingsbild wurde von Frits Jeuris gemalt.
© Janett Schindler

An der Spielscheune laufen wir vorbei und begeben uns zum Bruegel-Hof Vorselaar. Dieser entspricht übrigens dem “Bruegel-Hof” aus Pieter Bruegels Werken recht gut. In der Küche des Hofes, die dem Leben im 16ten Jahrhundert nachempfunden ist, entdecke ich die beiden Bruegel Kunstwerke “Die Magere Küche und die Fette Küche”. Wie passend! An einem Tisch möchte ich gerne basteln. Jaak schaut auf die Uhr. Wir haben noch einiges mehr zu entdecken!

Vorbei an der Windmühle entdecke ich auch die Landwirtschaft. Kühe und Schafe weiden, es wird Gemüse und Hanf angebaut und mich würde es gerade nicht wundern wenn plötzlich auch noch ein paar Enten den Weg kreuzen würden.

Die Windmühle ist besonders – sie lässt sich mit dem Wind drehen. Apropos Mühle – aufgrund seines Namens wird bis heute vermutet dass Bruegel aus Brogel stammt und dort vielleicht in einer Mühle aufgewachsen ist. Die Ölmühle Ellikom ist dieser Zeit nachempfunden.

© Janett Schindler

Wir gehen an einer Kreuzung vorbei durch einen Wald und hören von Jaak Meysen die Geschichte von Bruegels Wildem Mann. Die Hütte des wilden Mannes könnt ihr übrigens auch in Bokrijk besuchen. Ich hab mich nicht getraut!

© Janett Schindler

Am Platz der Sinne befindet sich eine Tribüne. Ab Mitte Juli bis Anfang September könnt ihr euch hier täglich zwischen 11 und 14 Uhr von Künstlern in eine Brugel-Welt entführen lassen. Was die Sinne angeht – dort gibt es auch eine leckere Paradieswaffel zu probieren. Die hat jedoch mit der heute bekannten belgischen Waffel so gar nichts gemeinsam. Unbedingt probieren!

Paradieswaffel (von Zutaten aus dem 16ten Jahrhundert inspiriert), © Janett Schindler

Inzwischen sind wir am Ende unserer Tour angekommen – der Scheune von Zuienkerke.  Die Scheune aus dem 16ten Jahrhundert ist riesig. Ich bin an diesem Tag fast allein in der Scheune und komme aus dem Staunen nicht heraus.

© Janett Schindler

Das Gemälde “Der Kampf zwischen Karneval und Fasten” wird im inneren der Scheune gespiegelt – was jedoch noch viel cooler ist – es gibt die Möglichkeit sich durch diese Spiegelung selbst in das Bild hinein zu beamen. In dieser Größe werden mir so einige Details des Kunstwerkes erst bewusst – Gestiken, Mimiken und besondere Figuren. Die Details, die rund um das Gemälde zu finden sind, sehe ich erst auf den zweiten Blick und auch die virtuellen Spiegel sind für alle “Hut-Sammler” recht spannend. Ein tolles Finale einer spannenden Tour!

Habt ihr Hunger? Essen wie im 16ten Jahrhundert

Jaak bringt uns wieder zurück ins Zentrum von Bokrijk. “Habt ihr Hunger?” fragt er uns. Und ja. So viel Kultur und Kunst macht hungrig. Im “In St. Gummarus” werden wir schon erwartet. Auf Empfehlung probiere ich einen “Wilden Mann” – ein Dunkelbier.

© Janett Schindler

Ziemlich stark! Unser Tisch (romantisch am Kamin) füllt sich kurze Zeit später mit dem “Bruegel-Menü”. Pommes, Gulasch, Apfelmus, Hackbällchen, Krautsalat – wir sind froh nur eine Portion geordert zu haben. Zum Nachtisch gibts eine Paradieswaffel – jetzt fehlt eigentlich nur noch ein Platz für das Mittagsnickerchen!

Ein Kreativprogramm zum Abschluss.

Mit dem Schlaf nach dem Essen wird es nichts – denn wir haben an diesem frühen Nachmittag noch zwei Termine. Brot backen und Töpfern. Das sind übrigens nicht die einzigen Kreativkurse die in Bokrijk angeboten werden.

Im Bruegel-Jahr gibt es einen Workshop zum Thema “Hüte” – wir jedoch probieren uns am Brot und am Ton. Zuerst gestalten wir ein Brot – der Teig wurde schon vorbereitet.

© Janett Schindler

Nach gut 10 Minuten waren meine Figuren fertig – und landeten im Ofen und ich machte mich auf zum Töpfern. Spannend – dies auch mal auszuprobieren!

© Janett Schindler
  • Mehr über die Ausstellung: https://www.dewereldvanbruegel.be/de/
  • Der Eintritt in das Freiluftmuseum kostet 12,50 Euro für Erwachsene, Kinder bis 12 Jahre zahlen 2 Euro. Der Parkplatz schlägt mit 5 Euro zu Buche.
  • Das Museum ist geöffnet von April bis Ende Oktober – Dienstag bis Sonntag von 10 – 18 Uhr.
  • Kreativkurse und auch das Essen sollten vorbestellt werden
  • Führungen sind möglich ab 5,50 Euro pro Person.
Flämische Meister, Flandern, Jan-Kai Vermeulen, Kultur, Neu auf dem Flandern-Blog

In Situ: Kleine Städte, große Meister

Eine Rundreise zu Leonardo da Vinci, Rubens und van Eyck

von Jan-Kai Vermeulen

Ivo Cleiren wartet vor einem mächtigen Holztor in der riesigen Abtei von Tongerlo auf mich. Nein, er sei kein Mönch, sein langes weißes Gewand sei die Kleidung der Norbertiner, eine Priestergemeinschaft des Augustiner-Ordens. Der überaus freundliche 70-Jährige, der hier seit 50 Jahren lebt, ist der Kurator des Abdij-Museums und will mir das Geheimnis von Leonardo da Vinci in seiner Abtei erklären. „Kommen Sie mit.“ Ich folge in ein Labyrinth von Gängen.

Das Projekt „In Situ“

Fünf von 45 Orten werde ich besuchen, die zum Projekt In Situ gehören. In Situ heißt Vor Ort; die Bilder von großen flämischen Meistern finden sich meist in abgelegenen Städtchen und Dörfern – immer an ihrem angestammten Ort in Kapellen, Klöstern, Beginenhöfen oder Schlössern, von Maaseik im Osten bis Veurne nahe der Küste.

Van loon Visitation, Flemish Masters in Situ

In der Basilika von Scherpenheuvel dreht sich alles um die Gottesmutter. „Welkom bij Maria“ steht groß in Weiß auf leuchtendem Lichtblau über dem Eingang der achteckigen Pilgerkirche. Sieben Werke von Theodoor van Loon sind zu sehen, das wichtigste, „Mariä Himmelfahrt“, hängt hinter dem Altar. Gerade läuft eine Messe, es ist brechend voll. Kaum ist die Messe beendet, wird in situ die nächste gestartet. Weltliches Kunstinteresse muss warten.

Gut, dass die sechs anderen Bilder ringsherum in Chorecken platziert sind. Da kann ich zum kräftigen Gesang der Priester reichlich schriftliche Erklärungen aufsaugen. Zum Beispiel: „Sehen Sie, was für ein schönes Baby Maria ist! Die Engel tollen freudig herum.“ Und dann Marias Lebensweg verfolgen: immer im lichtblauen Gewand.

Spannende Einblicke in neue „Ausstellungsräume“

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Brügge, Flandern, Janett Schindler, Kultur

Das Gruuthusemuseum – in drei Jahrhunderten durch Brügge

Blick auf das Gruuthusemuseum und die Kathedrale

von Janett Schindler

Brügge bietet viele spannende Orte, die es zu entdecken gilt. Mehr als 30 Kirchen (rund die Hälfte davon in der Altstadt), zahlreiche Museen, Kunstausstellungen und beeindruckende Plätze verführen so manchen Touristen zum Verweilen. Nicht erst „Brügge sehen und sterben“ hat zahlreiche Gäste in die Stadt in Flandern gelockt. Die Kombination zwischen schmucken alten Häusern und ansehnlichen Grachten ist einfach sehenswert.

Seit Mai 2019 hat Brügge ein weiteres Highlight.

Zentral gelegen könnt ihr eine Zeitreise in das Mittelalter von Brügge erleben. Das Gruuthusemuseum – das kann ich vorab schon verraten – lässt nicht nur Kunstfans und Zeitreisende wie mich begeistert zurück.

Blick aus dem Gruuthuse Museum, © Janett Schindler

Rund 5 Jahre war das Gruuthusemuseum geschlossen, rund 9 Millionen wurden für die Neugestaltung investiert und eine ganze Woche wurde im Mai die Wiedereröffnung des Stadtpalais der Familie Gruuthuse gefeiert.

Reisen wir zurück in die Zeit.

1425 war es, als Johann IV von Gruuthuse mit dem Bau eines Herrenhauses am Dijverkanal begann. Die Familie Gruuthuse verdiente ihr Geld mit Grut (Eine Art Kräutermischung). Das Grut war im Mittelalter Bestandteil des Bieres. Selbiges wurde von jedermann getrunken – demzufolge hatte die Familie viel Geld und somit auch viel Einfluss im Burgundischen Brügge.

Map of Bruges, 1546 – 1600, Anonymous master, Bild © Janett Schindler

Selbst nachdem Grut nicht mehr genutzt wurde durfte die Familie Steuern auf Bier erheben. So kommt es auch, dass über mehrere Jahrhunderte wertvolle Kunstwerke, Wandteppiche und Zeitdokumente durch die Familie gesammelt wurden. Als Museum fungiert das Stadtpalais seit 1888. Die letzte umfangreiche Restauration fand in den letzten Jahren statt – ich finde – es hat sich gelohnt!

Besucht mit mir das Gruuthusemuseum!

Auf dem Hof des Gruuthusemuseum stoßen Gegenwart und Vergangenheit aufeinander. Der modern wirkende Ticketshop ist für alle Besucher der erste Anlaufpunkt.

Gruuthusemuseum, © Janett Schindler

Erst von dort geht es mit einem Audioguide durch eine liebevoll verzierte Eingangstür. Der “Lockerroom” war früher einmal der Raum für die Guillotine – heute jedoch passiert hier keinem Gast etwas.

Lockerroom im Gruthuusemuseum, © Janett Schindler

Von dort aus werden wir in drei Zeitepochen in das Leben der Familie Gruuthuse hineingezogen. Gut besucht ist das Museum – Mehrsprachig in Wort und Schrift ist es jedoch nicht nur für Einheimische spannend. Ich bin sehr begeistert von den prunkvoll verzierten offenen Kaminen und den wunderschön bemalten Decken.

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Flandern, Gent, Kultur, Meike Nordmeyer

Wenn der Kaffee unter den Füßen knirscht

Jubiläumsausstellung im S.M.A.K in Gent

von Meike Nordmeyer

Kaffee trinken kann man in fast jedem Museum in der zugehörigen Cafeteria. In der aktuellen Jubiläumsausstellung im S.M.A.K., dem Städtischen Museum für Aktuelle Kunst in Gent, geht mehr. Da lässt es sich auch auf Kaffee laufen und das ist eine besondere Erfahrung. Es ist ein bisschen wie am Strand, nur dass es dazu betörend duftet. Der brasilianische Künstler Artur Barrio hat seine Rauminstallation mit dem Titel „Interminável“ von 2005 für diese Sonderausstellung erneut realisiert. Der Boden in dem Raum ist komplett mit grob gemahlenen Kaffeepulver bedeckt. An einer Stelle ist sogar ein kleiner Hügel des körnigen Materials angelegt, und es gibt auch einen Berg aus Brot. In der Mitte ist ein Sofa aufgestellt, einzelne Leuchten sind im Raum verteilt.

Kaffeepulver bedeckt den Boden – der brasilianische Künstler Artur Barrio hat seine Rauminstallation mit dem Titel „Interminável“ von 2005 für die Sonderausstellung erneut realisiert. Foto: Meike Nordmeyer

Die Wände sind stellenweise mit Kaffeeflecken übersät und auch vollgekritzelt. All das macht den insgesamt spärlich beleuchteten Raum zu einem besonderen Ort von dichter Atmosphäre. Das dunkelbraune Kaffeepulver zeigt auch eine Anmutung von Erde und das sorgt für einen gewissen archaischen Charakter. „Es ist ein bisschen crunchy“, so bemerkt zudem eine Besucherin, als sie mit dem Fuß über den Boden schabt und damit ein knirschendes Geräusch erzeugt und verschiedene Striche in das Pulver am Boden zeichnet. „Jeder hinterlässt hier seine Spuren“, sagt Kunstdozent Antoon Lamon, der mich als Guide durch die Ausstellung führt.

Ich steh voll auf Kaffee im S.M.A.K. – das habe ich so noch nie gemacht. Foto: Meike Nordmeyer

20 Jahre S.M.A.K. – anlässlich dieses Jubiläums lädt das Museum derzeit zu einer großen Ausstellung unter dem Titel „Highlights for a Future – The Collection (1)“ ein, die eine Auswahl von 200 Arbeiten aus dem umfangreichen Sammlungsbestand von insgesamt 3000 Werken zeigt. Seit 1999 ist das Museum im ehemaligen Casino der Stadt untergebracht und hat damit seinen Standort direkt neben dem Museum für schöne Künste im Citadelpark. Das S.M.A.K. gilt als wichtigste öffentliche Sammlung belgischer und internationaler zeitgenössischer Kunst in Belgien. Strömungen wie Pop-Art, Konzeptkunst und Arte Povera sind beispielsweise vertreten. Es beherbergt Werke namhafter Künstler wie unter anderem Joseph Beuys, Marcel Broodthaers, Panamarenko, Jim Dine und David Hockney.

Der von Artur Barrio geschaffene Kaffeeraum hat mich gleich zu Beginn der Jubiläumsausstellung sehr beeindruckt. Der herbe Duft des Kaffees weht mir noch in der Nase und meine weißen Turnschuhe sind vom braunen Pulver bleibend berieselt – da bekommt die Bezeichnung „Coffee to go“ eine ganz neue Bedeutung. So ziehe ich nun weiter durch die Ausstellung und lausche den spannenden Ausführungen von Antoon.

Das Werk an der hinteren Wand stammt von der Künstlergruppe „Art & Language“. Es bezieht sich auf den Stil von Jackson Pollock und insbesondere auf das Gemälde „Guernica“ von Picasso. Auf dem Boden ist die Arbeit „Untitled (blue glitter) von Ann Veronica Janssens zu sehen. Foto: Meike Nordmeyer

In einem weiten, von einem Oberlicht erhellten Raum hängt ein großformatiges Bild, das nach Action-Painting aussieht und unmittelbar an die schwarz-weißen Bilder von Jackson Pollock erinnert. Das Werk der Künstlergruppe „Art & Language“ bezieht sich aber nicht nur darauf, sondern auch auf das Gemälde „Guernica“ von Picasso. Antoon weist mich darauf hin und zieht eine Abbildung dieses Gemäldes aus seiner Mappe hervor. Obwohl ich das berühmte Bild von Picasso gut kenne, hatte ich den Bezug in dem Gewusel der Striche nicht bemerkt. Doch jetzt tut sich was, die eingearbeitete Struktur gibt sich zu erkennen und entfaltet sich quasi vor meinem nun wissenden Auge.

Ich entdecke immer mehr Motive von Picassos Gemälde und kann nun gar nicht mehr verstehen, warum ich sie vorher nicht gesehen habe. Es ist beeindruckend, was für einen Vorgang des Sehens und Erfassens die entscheidende Information auslöst. Damit wird der künstlerische Prozess quasi durch den Betrachter vollendet – ein Effekt, den die Künstler in ihrem Werk angelegt haben.

Weiter gehts…

Ein anderer Raum im Obergeschoss beeindruckt zudem mit Exponaten besonders namhafter Künstler. Da hängen Arbeiten von Gerhard Richter, David Hockney und Chuck Close. Kleine und große Entdeckungen, bekannte und unbekannte Namen und ganz verschiedene Richtungen der zeitgenössischen Kunst – die Ausstellung hat eine große Bandbreite zu bieten. Es geht bei dieser Auswahl gerade um die Vielfalt der künstlerischen Positionen in der zeitgenössischen Kunst. Dabei zeigt die Ausstellung die Werke nicht etwa nach Entstehungszeit und Kunstströmung sortiert. Eine davon unabhängige Anordnung will neue Bezüge und Gegenüberstellungen herstellen und wirkt damit besonders anregend. Dementsprechend voller Eindrücke komme ich aus der Ausstellung und denke nun gleich wieder an Kaffee. Diesmal möchte ich ihn aber nicht am Boden, sondern in der Tasse. Ich stärke mich im Museumscafé erstmal mit einem Cappuccino.

Derzeit werden noch einige Tafeln des Genter Altars im Museum für schöne Künste, dem MSK Gent restauriert. Hier sind vier der Außentafeln in der Werkstatt der Restauratoren zu sehen. Foto: Meike Nordmeyer

Nun lockt noch viel mehr Kunst in der Stadt zu weiteren Besichtigungen. Das Museum für schöne Künste, das MSK Gent, mit Werken vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert liegt gleich neben dem S.M.A.K. Und in der Altstadt gibt es in Sachen Kunst noch ein absolutes Highlight zu erleben: In der St.-Bavo-Kathedrale kann der legendäre Genter Altar besichtigt werden. Das Gemälde mit dem Titel „Die Anbetung des Lamm Gottes“ wurde von den Gebrüdern Van Eyck im 15. Jahrhundert geschaffen. Es gilt als eines der wichtigsten Kunstwerke des ausgehenden Mittelalters.

Wegen seiner enormen kunstgeschichtlichen Bedeutung und ebenso aufgrund einer langen, sehr verwickelten Reihe von mehrfachem Kunstraub zu späteren Zeiten ist es weltberühmt. Nach seiner wechselvollen Geschichte hängt das alte Gemälde nun fast vollständig wieder in der Kirche, für die es einst geschaffen wurde und kann dort besichtigt werden. Also, einen Kaffee zur Stärkung trinken und hingehen!

Derzeit werden übrigens noch einige Tafeln des Genter Altar im MSK restauriert. Im kommenden Jahr werden anlässlich des Van Eyck-Jahrs 2020 ab 1. Februar die Außentafeln des Genter Altars im MSK im Rahmen einer umfangreichen Ausstellung zu dem Künstler Jan Van Eyck gezeigt. Die acht Tafeln wurden noch nie in einer Ausstellung gezeigt. Sie werden damit zum ersten Mal mit anderen Werken von Jan van Eyck und seinem Atelier zusammengebracht. Im Mai 2020 kehren die Tafeln dann in die St.-Bavo-Kathedrale zurück. Damit ist dort wieder das (bis auf eine verschollene Tafel) komplette Polyptychon, also der vielteilige Flügelaltar zu sehen.

Weiterführende Informationen…

Mehr zu der Ausstellung „Van Eyck – An Optical Revolution“ ab 1. Februar 2020 gibt es hier

Die Jubiläumsausstellung im S.M.A.K. ist schon eröffnet und noch bis zum 29. September 2019 zu sehen. Mehr Infos

Brüssel, Flämische Meister, Flandern, Kirsten Lehnert

Begegnungen mit Pieter Bruegel

von Kirsten

Neulich bin ich schmunzelnd aus einer Kirche gekommen. Warum? Weil ich dort eigentlich auf der Suche nach dem Grab von Pieter Bruegel war, stattdessen aber auf eine Reihe ungewöhnlicher Figuren stieß.

Bilder: Kapellerkerk, © Bowling Visit Flanders

Da ragten plötzlich kleine Beinchen aus einem Taufbecken, als wäre gerade ein kleines Männchen zum Schwimmen reingesprungen. Links neben dem Altar entdeckte ich ein behelmtes Wesen, das an einer Säule emporklettert als wolle es sich mit dem steinernen Totenkopf über ihm anlegen. Als ich den Engel sah, der über dem Altarraum in der Luft schwebt, da kam mir die Eingebung. Der Engel hatte nämlich verblüffende Ähnlichkeit mit einer Figur aus meinem Lieblingsbild von Pieter Bruegel „Der Sturz der rebellierenden Engel“.

Ich hatte bei meinem Besuch in Brüssel den Spuren Bruegels folgen wollen und war dabei zwangsläufig in der Kapellekerk gelandet. Der große flämische Meister, der damals um die Ecke dieser Kirche im Marollenviertel wohnte, hat hier geheiratet und wurde auch hier begraben. Aber zurück zu den Figuren. Ich fand nicht nur weitere skurrile Figuren dieser Art in der ganzen Kirche (manchmal muss man schon ganz genau hingucken), sondern am Eingang der Kirche auch die Erklärung dazu: Ein passendes Heft für diese Schnitzeljagd, in dem alle Figuren aufgeführt werden, die es zu finden gilt. Sie stammen allesamt aus Bruegel-Bildern und sind somit Appetithäppchen auf das Bruegel-Jahr, das 2019 anlässlich des 450. Todestags des Malers gefeiert wird.

Den Hunger stillen kann man übrigens nicht erst Ende Februar 2019, wenn die ersten der großen Sonderausstellungen in und um Brüssel eröffnen. Schon jetzt gibt es viele permanente Angebote rund um Bruegel in der Stadt.

Ständig da ist zum Beispiel die Bronzeskulptur direkt vor der Kirche, die den Künstler in Malerpose zeigt und die immer gut für ein Selfie ist. Nur wenige Meter weiter, in der Rue Haute 132, findet ihr das eher unscheinbare Wohnhaus von Pieter Bruegel. Einige Fußminuten von der Kirche entfernt, oben auf dem Mont des Arts, wo einst die mächtigen Mäzene des Künstlers residierten, findet ihr heute zahlreiche Werke von Bruegel im Original.

Die Königlichen Museen der Schönen Künste von Brüssel (KMSKB) etwa besitzen die weltweit zweitgrößte Bruegel-Gemäldesammlung. Hier habe ich mich nach dem ungewöhnlichen Kirchenbesuch noch mal richtig in die Kunst vertieft. Und ich habe tatsächlich einige Figuren aus der Kirche wiedererkannt. Denn schließlich hängt hier im Bruegel-Saal das Originalbild mit den rebellierenden Engeln. Wie viele andere Bruegel-Bilder ist es ein wahres Wimmelbild, das unzählige Geschichten erzählt. Manch winziges (und oft witziges) Detail bliebe einem vielleicht ewig verborgen, wären da nicht die „Unseen Masterpieces“. Das ist eine virtuelle Ausstellung in den KMSKB mit neun Touchscreens, die die Meisterstücke zeigt, wie ihr sie noch nie gesehen habt. Zusammen mit Google wurden 12 Meisterwerke renommierter Museen in einer unfassbar hohen Auflösung – megapixel-genau – aufgenommen und nun so präsentiert, dass man sich so weit in die Bilder hineinzoomen kann, wie man will. In einer „Bruegel Box“ könnt ihr sogar selbst in die Bruegelschen Bilderwelten eintauchen. Denn hier werden die Bilder flächendeckend an die Wände eines eigenen Musemsraums projiziert und erläutert.

Brüssel-Bruegel-Box

Noch ganz beglückt von diesem intensiven Kunstgenuss und von der Tatsache, dass ich so viele meiner neuen Bekannten aus der Kapellekerk wieder getroffen hatte, verließ ich auch das Museum schmunzelnd. Ich hätte nie gedacht, dass alte Meister so viel Spaß machen können!

Flandern, Kirsten Lehnert, Kultur

Chambre Privée – Im Wohnzimmer mit den Flämischen Meistern

von Kirsten

Ward ihr schon mal bei einem Kunstsammler zuhause? Könnt Ihr euch vorstellen, wie jemand, der kostbare Bilder etwa von den Flämischen Meistern besitzt, diese in den eigenen vier Wänden anordnet? Hängt ein Brueghel über dem Sofa? Und gleich neben dem Fernsehsessel ein Brouwer? Sieht ein passionierter Kunstsammler überhaupt fern? Da möchte man doch gerne mal einen Blick durchs Schlüsselloch werfen.

Private Einblicke

Chambre Privée, © Peter Hinschläger

Ein 91-jähriger Kunstsammler erlaubt jetzt einen solchen, seltenen Blick in seine Privaträume. Das bedeutet nicht, dass er die kunstinteressierte Öffentlichkeit in Scharen durch sein stilvoll eingerichtetes heimisches Wohnzimmer laufen lässt – schließlich möchte der alte Herr auch gern anonym bleiben. Nein, seine kunstvoll bestückten Räume kommen ins Museum: als Pop-up-Wohnzimmer mit Originalbildern und mit Fotowänden, auf denen Ambiente und Atmosphäre des Sammler-Zuhauses eingefangen sind. Die Idee, Einblicke in die Wohnzimmer von Privatsammlern zu geben, hatte Sarvenaz Ayooghi, Gemäldekuratorin am Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen. Und sie entwickelte daraus das ungewöhnliche Ausstellungsformat „Chambre Privée“, das am 8. November mit der Schau der Flämischen Meister im Kaminraum des Museums startet. Drei Monate lang, bis zum 3. Februar 2019, sind dann die privaten Räume des Sammlers, der auf flämische und holländische Malerei spezialisiert ist, für Besucher „begehbar“.

 

 

Ihr seht opulente Blumenbouquets und Silberpokale, im Vitrinenschrank Meissner-Figuren und barocke Buckelgläser, auf der reich verzierten Rokoko-Kommode eine kostbare Empire-Tischuhr. Alles ist sorgsam arrangiert und gerahmt von gerafften Vorhängen – als beträte man ein Stillleben. Und dann wird der Blick gefesselt von den Gemälden an den Wänden. Hier hängen 14 echte Meisterwerke des 17. und 18. Jahrhunderts, darunter die „Seeküste mit Scipionengrab“ von Jan Brueghel d.Ä. oder die wunderschöne Berglandschaft von Paul Bril, aber auch Bilder von Ambrosius Bosschaert über Frans Snyders bis Adriaen Brouwer.

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