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Antwerpen

Antwerpen, Brügge, Flandern, Gent, Kulinarik

Von der Bohne zur Praline

Pralinen von Dominique Persoone

Reisejournalist Ben Roelants hat sich auf den Weg gemacht um herauszufinden was an Schokolade und Pralinen aus Belgien so besonders ist. In Brügge trifft er Julius Persoone, Spross des wohl berühmtesten belgischen Chocolatiers Dominique Persoone, und lässt sich durch die familiengeführte Schokoladenfabrik führen. Weiter geht es nach Antwerpen. Hier kann man in The Chocolate Nation alles Wissenswerte über Belgische Schokolade erfahren: Von der Herkunft und Verarbeitung der Bohnen über die Erfindung der Praline in Brüssel bis zur Entdeckung der pinken Ruby-Schokolade. Die Reise endet in Gent beim Meisterpatissier und -Chocolatier Joost Arijs, der Ben in seine Philosophie der Süßspeisen-Kreation einführt. Eine kulinarische Städtereise auf die ich euch in diesem Video gerne mitnehmen möchte.

Belgische Schokolade im Netz

Hat Ben euch Lust auf Belgische Schokolade und Pralinen gemacht? Hier habe ich euch ein paar Links zum Nachlesen zusammengestellt:

The Chocolate Line von Dominique Persoone und Sohn Julius https://www.thechocolateline.be/en/

Chocolate Nation – das größte belgische Schokoladenmuseum der Welt https://www.chocolatenation.be/de

Joost Arijs, Patissier und Chocolatier mit Auszeichnung https://joostarijs.be/

Antwerpen, Flämische Meister, Flandern, Kirsten Lehnert, Kultur

Madonna trifft Tolle Grete – Zu Besuch bei zwei ungewöhnlichen Frauen

Bei meinem letzten Besuch in Antwerpen hatte ich eine besondere Begegnung mit zwei wundervollen Frauen. Die eine war länger weg, hat sich etwas aufhübschen lassen und strahlt jetzt richtig. Die andere war vorher noch nie hier, ist zwar mehr als 500 Jahre alt, aber so was von zeitlos! Die Rede ist von Grete und Madonna. Ich traf sie inmitten von dunkel vertäfelten Räumen mit wunderschönen Ledertapeten.

Eindrucksvoll präsentiert: die Sammlung im Museum Mayer van den Bergh in Antwerpen

Es handelt sich um zwei herausragende Kunstwerke, die gerade in der Ausstellung  „Madonna trifft Tolle Grete“ im Museum Mayer van den Bergh in Antwerpen gezeigt werden: die legendäre „Dulle Griet“ (tolle Grete), eines der berühmtesten Werke von Pieter Bruegel d.Ä. (1525-69), und die geheimnisumwitterte Madonna vom französischen Hofmaler Jean Fouquet (1420–71). Unterschiedlicher können zwei Bilder und Frauen wohl nicht sein.

Die Eine: ländlich, lustig, etwa skurril, in einer Umgebung voller kurioser Gestalten. Das Gemälde – wie so oft bei Bruegel ein wahres Wimmelbild – war früher als eher düstere, groteske Landschaft mit einem dunkelroten Himmel und vielen Brauntönen bekannt. Nach zweijähriger Restaurierung kann man das Meisterwerk seit Anfang des Jahres wieder an seinem angestammten Patz hier im Museum bestaunen. Wer es früher schon mal gesehen hat, wird sich wundern: Es sieht es jetzt viel frischer aus, Firnisschichten und spätere Übermalungen wurden entfernt, und nun strahlt das Bild wieder in seiner ursprünglichen Farbenpracht. Absolut sehenswert!

Eines der Highlights der Sammlung: die „Dulle Griet“ von Pieter Bruegel (c) Museum Mayer van den Bergh Antwerpen

Ihrer Zeit voraus

Die Andere ist hier nur bis zum 31. Dezember 2020 zu Gast: die berühmte „Madonna von Melun“, eine Tafel aus einem Diptychon aus dem 15. Jahrhundert. Der Maler Jean Fouquet gilt als einer der bedeutendsten Künstler an der Schwelle von der Spätgotik zur Frührenaissance und hat ein faszinierendes Bild geschaffen: Mit ihrer elfenbeinfarbenen, fast marmornen Haut wirkt die Madonna wie eine Skulptur. Die gespitzten roten Lippen, die kugelige, entblößte Brust und der Hintergrund aus blauen und roten Engeln erscheinen dabei unglaublich modern. Dass diese Madonna mehr als 500 Jahre alt ist (und damit noch älter als die dolle Grete), sieht man ihr wahrlich nicht an. Zeitlos modern oder einfach seiner Zeit voraus?  Durs Grünbein sprach in der „ZEIT“ in Zusammenhang mit dem Bild einmal von einem „Meisterwerk des gotischen Surrealismus“ – wie passend!

Jean Fouquet, Madonna von Melun (c) KMSKA, Lukas-Art in Flanders vzw, Foto Hugo Maertens

Der Entdecker der Tollen Grete

So unterschiedlich die beiden Damen sind, so verbindet sie doch etwas Besonderes: Beide sind Prachtstücke aus privaten Sammlungen, die in dieser Ausstellung gemeinsam präsentiert werden. Fritz Mayer van den Bergh (1858–1901) war Ende des 19. Jahrhunderts der größte Kunstsammler der Stadt und seiner Zeit weit voraus. Er sammelte bereits mittelalterliche Kunst der Niederlande und die Kunst der Renaissance, als diese noch ein Schattendasein fristeten. Besonderes Interesse hatte er an Pieter Bruegel d. Ä. Er gilt als Entdecker der „Tollen Grete“ und konnte auch das Werk „Zwölf Flämische Sprichwörter“ von Pieter Bruegel erwerben.

Jozef Janssens, Portrait von Fritz Mayer van den Bergh, 1901, Museum Mayer van den Bergh

Drei Jahre nach seinem frühen Tod mit nur 43 Jahren verwirklichte seine Mutter seinen Traum vom eigenen Museum. Heute ist das Museum Mayer van den Bergh eines der ältesten Museen der Welt, die speziell für eine einzige Sammlung errichtet wurden. Von außen ist das würdevolle, neogotische Gebäude eher unscheinbar, so dass es mir bei meinen letzten Besuchen nie aufgefallen ist. Zu Unrecht, denn das Museum entpuppt sich im Inneren als wahre Schatztruhe, ein Kunstwerk an sich mit den prächtigen Holzvertäfelungen und den bunten Bleiglasfenstern. Man braucht schon ein paar Stunden, wenn man sich alle oft so liebevoll ausgestatten Räume in Ruhe anschauen will.

Fritz und Florent

Ein weiterer ebenso leidenschaftlicher Sammler war Florent van Ertborn (1784–1840). Seine Sammlung, zu der auch die Madonna von Fouquet zählt, ist heute im Besitz des Museums der Schönen Künste Antwerpen, das gerade wegen Renovierungsarbeiten geschlossen ist. Umso schöner, dass hier nun erstmals seit Jahren wieder einige Meisterwerke aus seiner Sammlung gezeigt werden. In der Ausstellung begegnet man also auch nicht nur den beiden eindrucksvollen Frauen, sondern auch diversen anderen Sammlerstücken. Und vor allem lernt man die beiden Männer kennen, denen wir es zu verdanken haben, dass wir Grete und Madonna auch heute noch bewundern können.

Antwerpen, Flandern, Jan-Kai Vermeulen, Kulinarik, Neu auf dem Flandern-Blog

Diamanten: In der Stadt der Steinchen haben sogar Pralinen geschmacklich fast 18 Karat

von Jan-Kai

Antwerp Central ist kein Bahnhofshalt sondern ein Haltebahnhof. Er hält einen mit magnetischen Kräften fest. Ich stehe in der Empfangshalle, hingerissen von so viel Pracht: Jugendstil über und über, aufwändig vor ein paar Jahren renoviert. Nur nackenfreundlich ist die Halle nicht, so viel gibt es oben unter der riesigen Kuppel zu entdecken. Bei weltweiten Rankings unter den Edelsteinen der Bahnhöfe landet Antwerpen verlässlich in den Top 10, mindestens.

Antwerp Central Bahmhof mit seiner beeindruckenden Halle

Unangefochten ganz oben im Ranking ist Antwerpen als Diamantenstadt. 84 Prozent aller Rohdiamanten weltweit werden hier gehandelt. Vom Bahnhof zu den Diamantenbörsen sind es nur ein paar Schritte. Ich erwarte Glitzer und Glamour. Aber rund um die Houveniersstraat könnte die Anmutung nicht gegenteiliger sein: schmucklose Nachkriegsbauten, teils zehnstöckig, alles zwischen grau und beige, Videokameras, Sicherheitspatrouillen, eine winzige Synagoge dazwischengequetscht.

Antwerpen – eine Stadt voller Highlights

In der City komme ich nicht vorwärts. Ständig Highlights. Rubens-Haus, das Muss. Die Rubens-Kirche mit ihrem bombastischen Altar, vom Meister selbst designt. Der senkrechte Schuhkarton mit Namen Museum aan Stroom oder MAS. Der Edel-Chocolatier Goosens mit seiner „atypischen Diamantenkollektion“ (15 Pralinées, 22 Euro), geschmacklich nah an 18 Karat. Ein Stück weiter der Juwelier, der den Mikroklunker von 0,02 Karat für 39 Euro als „Souvenir-Diamant“ feilbietet. Mit einem Döschen Pralinen als Zugabe.

Ein neues Museum rund um Diamanten

Im neuen DIVA, dem Diamanten-Museum, prallt man auf unzählige glitzernde Preziosen, die früher aus dem Orient, aus Japan oder Indien im Hafen ankamen, besonders in den „goldenen Jahren“ im 16. und 17. Jahrhundert: Gold- und Silberarbeiten mit Steinen aller Art, teils fein, teils monströs. Ich lausche einem Hörspiel, mühe mich im Quiz um Historie und Rekordmarken der Diamantenwelt und küre mein Lieblingsteil: Ein modern wirkendes Portraitdöschen von 1900 als Halskette, aus purem Gold mit einem Smaragd und zwei Diamanten. Verwirrend ist die häufige Bezeichnung Email an den Ausstellungsstücken. Haben die fortschrittlichen Antwerpener vor hunderten Jahren schon gemailt? Niederländisch Email heißt Emaille.

Eindrücke aus dem neuen Diamanten Museum in Antwerpen, © DIVA, Sven Coubergs

Diva bedeutet bestimmt abgekürzt Diamanten van Antwerpen, oder? Die Museumsführerin guckt mich erstaunt an. Gute Idee, sagt sie, aber eigentlich sollte der Name nur die Glamour-Assoziation zu Diven ausdrücken. Als Mann bin ich übrigens sehr allein hier, es schlendern weitmehrheitlich Frauen umher. Designt hat das Museum der Innenarchitekt Gert Voorjans, der davor Mick Jaggers Anwesen gestaltet hat. Auch ein anderer Promi ist indirekt vertreten: Ex-Tennisprofi Ivan Lendl. Beim „Diamond Meeting“ in Antwerpen war als PR-Gag für vier Siege in Serie ein diamantenbesetzter Tennisschläger aus sechs Kilogramm Gold ausgelobt – schafft eh keiner, dachte man. Lendls Quadruple gewann und er hat das mäßig schöne 80er-Jahre-Racket dann dem Museum gestiftet.

© Diamondland

Angefixt vom musealen Juwelismus sind die Gouden Straatjes nebenan ein idealer Ort, um das Portemonnaie zu meucheln. In diesen Goldenen Sträßchen haben sich 15 Goldschmiede und Schmuckdesigner in kleinen schmucken Ateliers niedergelassen. Manchen darf man bei der filigranen Arbeit zusehen. Die Schmuckstücke von Gerhild Kirchner und Nadine Wijnants haben mir am besten gefallen. Beide schaffen den gestalterischen Spagat: Voluminöse, fast wuchtige Ringe und Reifen, auf der Oberfläche filigran und fast zart gestaltet.

Geschmackssache, sicherlich. Verfeinern könnte ich mein ästhetisches Urteilsvermögen bei Designer Robb Zilla. Denn da kann man sogar Abendkurse belegen. Damit man nachher, wenn man das kleine samtausgelegte Kästchen bei Kerzenschein herüberschiebt, sagen kann: „Schatz, hab ich selbst gemacht für uns.“ Ein nettes Spiel für zwei in der Stadt der Steinchen ist übrigens der Wettbewerb: Wer entdeckt mehr Einheimische mit winzigen Diamantpiercings im Gesicht?

Am nördlichen Ende Antwerpens glitzert der größte Klunker. Hier hat die irakische Stararchitektin Zara Hadid auf das alte Hafen-Verwaltungsgebäude ein kühnes schräges Etwas gebaut. Es hat die Form eines Diamanten, der im Sonnenlicht blinkt und blitzt. 500 Menschen, lese ich, haben hier innerdiamantene Arbeitsplätze gefunden – Besichtigung leider nur für Gruppen und mit Voranmeldung.

Die Füße sind platt. Mit knapper Not wieder am Bahnhof, der aber ausgerechnet auf Züge keine magnetisierende Wirkung hat. 20 Minuten Verspätung. In Brussel Midi wird ein Sprint nötig zum Anschlusszug.

Flandern, Janett Schindler

Kunst in der Stadt – Streetart in Antwerpen

von Janett

Früher fand ich Graffitis total hässlich. Vor allem diese Schriftzüge, die wunderschön renovierten Häuser verschandeln und wie mit einem Untertitel zu sagen scheinen: „Schönheit ist vergänglich“.
Doch dann entdeckte ich die Welt der Straßenkunst:. Ich erkannte, dass Straßenkunst nicht immer nur als Verschandelung zu sehen sein muss. Ich realisierte, dass zahlreiche Kunstwerke eine Botschaft zu überbringen haben. Und das vor allem Städte mit vielen sozialen Herausforderungen oft eine Vielzahl von richtig guten Kunstwerken zu bieten haben.

© Janett Schindler

Gibt es Streetart in Antwerpen?

Um ganz ehrlich zu sein – bisher kam mir Antwerpen nicht wie eine Stadt vor, in der sich Straßenkunst wirklich gut entfalten kann. Doch da habe ich mich gewaltig getäuscht. Antwerpen? Das ist nicht nur Rubens und Snijders – das ist nicht nur barocke Kirchenkunst und Architektur des 19ten Jahrhunderts.

© Janett Schindler

Wir treffen Tim Marschang vor dem Rubens-Haus. Er ist das, was man in Sachen Streetart in Antwerpen einen Experten nennt. Wenn jemand über die Künstler, Kunstwerke und vor allem neue Straßenkunst Bescheid weiß, dann er. Seine „Straßenkunst-Touren“ durch Antwerpen bietet er über Facebook an – und zeigt seit neuestem auch vier „barocke“ Kunstwerke. Ich bin neugierig – denn auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt schon mehr als einem Tag in der Stadt in Flandern unterwegs war – wirklich viel „Streetart“ habe ich nicht entdecken können. Weiterlesen …

Antwerpen, Flandern, Jan-Kai Vermeulen, Kulinarik

Champagner der Arbeiterklasse – Die abenteuerliche Geschichte der Seef Brauerei in Antwerpen

von Jan-Kai

Sechs Jahre lang hatte er für den Leibhaftigen gearbeitet. Johan van Dyck war Marketingdirektor bei Duvel-Bier. Er tat das so erfolgreich, dass ihn das Magazin Trends einmal zum PR-Manager des Jahres in Belgien kürte. Dann blätterte van Dyck, heute 42, zufällig in einem Buch.

Das Buch behandelte die vergessenen Brauereien in van Dycks Heimatstadt Antwerpen, weit mehr als hundert gab es bis Ende des 19. Jahrhunderts. Die meisten brauten Seefbier, las er, den „Champagner der Arbeiterklasse“, wie man sagte. Seefbier? Niemand wusste mehr etwas davon. Rezepte? Verschollen. Nur der Name Seefhook, also Seefviertel, gleich nördlich der historischen City war geblieben. Da standen die Sudkessel.

Johan van Dyck suchte. Er fand ein weiteres Buch mit alten Bierrezepten – was fehlte, war Seefbier. Drei Jahre lang forschte er in Archiven, besuchte alte Brauerfamilien und Seniorenheime. Erfolglos. Bis er auf einem Dachboden in einem alten Schuhkarton („Das war wie ein Einschlag aus heiterem Himmel“) den großen Treffer landete. Irgendwer hatte ein Seef-Rezept handschriftlich notiert – Buchweizen muss hinein, eine besondere regionale Hopfensorte, vor allem sehr spezielle alte Hefen.

© Johan v. Dyck via P. Eichhorn

Van Dyck war elektrisiert. Er kontaktete die führenden Brauereiwissenschaftler an der Uni Löwen, und tatsächlich: Man wurde in alten Hefebanken fündig. 2011 erste Brauversuche. Mit hinreißenden Ergebnissen. Begeistert eröffnete van Dyck seinem Arbeitgeber, er wolle fortan nebenher hobbybrauen. Weniger elektrisiert meinten die Teufelsmanager: „Das kannst du noch mit 65 machen.“ Johan van Dyck kündigte den Job.

Spätestens mit diesem Tag begann die verblüffende Erfolgsgeschichte der heutigen Antwerpse Brouw Compagnie. 2012 öffentliche Erstverkostung im Antwerpener Rathaus. Der Bürgermeister feierte das Bier als „kulturelles Erbe“ der alten Stadt. Nach wenigen Tagen war alles weggetrunken. Neider glaubten schon an „künstliche Verknappung“, ein Marketingtrick. Nichts da, sagte van Dyck. „Die Leute waren einfach verrückt danach“, sagt heute Johans Ehefrau Karen Follens, 41.

Die Fremdproduktion (bei der alten Roman-Brauerei in Oudenaarde) lief an, weil eigene Großbraukessel fehlten. „Ein Gottesgeschenk“, sagt van Dyck, „dass die dort genau die Installationsanlagen hatten, um das über hundert Jahre alte Bier herzustellen und wir sie nutzten durften“. Schnell wurde Seefbier international bestaunt und testgetrunken. Sieben Mal nahm man an Wettbewerben teil, schlechtestes Ranking: Platz 1. Also immer die Goldmedaille – auch beim World Bier Award in San Diego, „obwohl wir selbst gar nicht vor Ort waren“, sagt Follens.

Letzter Schritt: Die eigene Brauerei. Große Firmen als Teilhaber kamen nicht infrage, dafür kennt van Dyck das Braubusiness zu gut. So etwas fange gut an, aber dann werde von Kostendruck gesprochen, Rezepturen verbilligt. „Die downsizen schnell, verkaufen dich womöglich. Da kann man nur verlieren.“ Also kramte man „alle Sparcents“ zusammen, legte ein Crowdfunding für tausend Leute auf (lebenslange Bierbelieferung gegen Teilhaberschaft von 150-1000 Euro) und pachtete im Antwerpener Hafengebiet, nicht weit vom MAS (Museum Aan Stroom), eine Pumpstation aus dem 19. Jahrhundert.

Der unscheinbare Backsteinbau wurde ausgebaut zu einem schickem Braucafé und Nachbarschaftstreff, davor ein Biergarten. Seit August 2017 entsteht das neue Seefbier in einer silbern blitzenden eigenen Brauanlage (Kapazität: 30.000 Hektoliter/Jahr) direkt vor den Augen der Gäste. Viele Crowdfunder kommen immer mal wieder auf ein Bier vorbei. „Die glauben an uns. Das ist wie eine große Familie“, sagt Karen Follens.

Man merkt der Brauerei die PR-Kunst ihres Inhabers an. Braukompagnie – welch frischer alter Begriff. Es gibt ein ausgeklügeltes und ansprechendes Corporate Design in der Werbung, auf den Flaschen. Der Pater auf dem Etikett trägt Sneakers.

Mittlerweile haben Bierhistoriker auch geklärt, warum das alte Seefbier ausstarb. Pils war plötzlich angesagt, einfacher herzustellen und besser zu lagern durch neuartige Pasteurisierung. Es konnte industrialisiert in größeren Mengen hergestellt werden und überschwemmte auch Flandern mit konkurrenzlosen Preisen. Ein Fall von früher Globalisierung: Masse statt handwerklicher Feinarbeit. Weiterlesen …

Antwerpen, Flandern, Kirsten Lehnert, Kultur

Der etwas andere Lückenfüller: Jan Fabre und seine neuen Altarwerke in der Augustinuskirche

von Kirsten

Wir haben ihn an dieser Stelle schon einmal vorgestellt: Jan Fabre, der Künstler, den ihr vielleicht von seiner eindrucksvollen Deckeninstallation „Heaven of Delight“ im Spiegelsaal des Brüsseler Königspalastes oder von seinem Kreuzträger in der Liebfrauenkathedrale in Antwerpen kennt. In der imposanten Kirche, quasi Auge in Augen mit den Meisterwerken der Flämischen Meister, hat er schon mal gezeigt, dass der auch „Kirchen“ kann.

Im Barockjahr „Antwerp Baroque 2018, Rubens inspires“ treffen wir den allround-Künstler wieder. Und wieder hat er sich einer Kirche gewidmet. Diesmal drückt er der ehemaligen Augustinerkirche, die in diesem Jahr ihren 400. Geburtstag feiert, seinen ganz besonderen künstlerischen Stempel auf. Die Kirche, die heute das Augustinus Musikzentrum (kurz AMUZ) beherbergt, bietet eine wirklich atemberaubende Kulisse für ein abwechslungsreiches Programm, in dessen Mittelpunkt Alte Musik steht. Als wichtigster Antwerpener Künstler und als Mann, der ausreichend Erfahrung mit ähnlichen Kunst-Integrationsprojekten hat, wurde Jan Fabre eingeladen, drei neue Kunstwerke für den wunderschönen barocken Innenraum zu schaffen. Die ursprünglichen Altarbilder waren 1628 bei keinen Geringeren als bei Peter Paul Rubens, Anthony van Dyck und Jacob Jordaens in Auftrag gegeben worden. Die wertvollen Originalbilder sind schon lange nicht mehr hier zu sehen, sondern Teil der Sammlung des Königlichen Museums der Schönen Künste Antwerpen (KMSKA). Im 20. Jahrhundert wurde die Lücke mit Bildern von Leon Van Ryssegem gefüllt. Nun ist mit den neuen Werken von Fabre ein der ursprünglichen Bedeutung des Ortes angemessener Ersatz geschaffen worden.

 

AMUZ, © Lennart Knab

Seit Kurzem hängen die drei neuen Bilder hier, ach was sage ich, sie leuchten hier! Denn als Material für seine neuen künstlerischen Interpretationen wählte Fabre wie bereits im Königlichen Palast Flügelpanzer des Smaragdkäfers. Damit zaubert er nicht nur erneut eine faszinierend blau-grün schillernde Oberfläche. Diesmal zeichnet  er auch mit gelb-orangenen Tönen und klar erkennbaren Linien Figuren in das ungewöhnliche Material. Durch diese Technik wird buchstäblich bei jedem sich ändernden Licht eine Metamorphose des Bildes erzeugt. Also lasst Euch überraschen von den neuen Lichtblicken in der alten Kirche! Auch wenn sich an den Bildern sicher – wie bei so vielen Kunstwerken – die (Geschmacks-)Geister streiten, einzigartig und ungewöhnlich sind die neuen Altarwerke auf jeden Fall.

Auch wenn sich Jan Fabre bei seiner Kunst an den Flämischen Meistern orientiert – für die Augustinkirche konzentrierte er sich auch stark auf die heutigen Funktionen der Kirche, die als Konzertsaal, Begegnungs- und Geschäftszentrum sowie als Aufnahmestudio dient. Wer genau hinschaut, entdeckt in den drei neuen Arbeiten den Notenschlüssel, das Mikrophon oder etwas, was ich als Lautstärkenanzeige einordnen würde. Denn in den drei Bildern überträgt Fabre die Altarstücke von Jordaens, Van Dyck und Rubens quasi in die Sprache des Jahres 2018. Er übersetzt – oder besser gesagt „erzählt“ die Altarstücke neu und passt sie an ihre aktuelle Umgebung an.  Zugleich vereint er in den drei Bildern Kernelemente aus seinem Oeuvre miteinander: das Lamm, das Feuer, die Frau, die Spiritualität und der Diamant als Symbol für Antwerpen. Dass Fabre mit seinen ungewöhnlichen Kreationen auch provoziert und polarisiert, gehört bei einem Künstler wie ihm eben dazu.

 

Aber macht euch einfach euer eigenes Bild von Jan Fabres neuen Altarstücken. Ihr könnt sie ab sofort bis einschließlich 9. August 2018 (montags von 14 bis 20 Uhr, dienstags bis freitags zwischen 14 und 17 Uhr) im AMUZ bestaunen. Danach kann das Werk noch während der Konzerte, bei speziellen Stadtspaziergängen oder montags von 14 bis 20 Uhr besichtigt werden. Zusätzliche Öffnungszeiten gibt es etwa am 4. August 2018 im Rahmen der Antwerpener Museumsnacht. Dann wird bis 4.00 Uhr bei der Afterparty in der Barockkirche üppig gefeiert. Daneben habt ihr auch die Möglichkeit, die Entstehung der Werke nachzuvollziehen: Die verschiedenen Collagezeichnungen von Jan Fabre, die Grundlage für die neuen Altarbilder waren, sind vom 6. Juli bis 4. November 2018 in der Kunstgalerie Rossaert in der Nosestraat zu sehen.

 

Antwerpen, Brüssel, Flandern, Gent, Kirsten Lehnert, Kulinarik, Leuven

Wim Ballieu – der Meister der belgischen Streetfood-Kultur

von Kirsten

Warum heißen Pommes Frites im Englischen eigentlich „French Fries“? Das ist Wim Ballieu vollkommen unverständlich. Wenn überhaupt müssten sie „Belgian Fries“ heißen, meint er. Stimmt, würde ich hinzufügen, denn nirgendwo sonst wird die Fritten-Kultur so gelebt wie in Belgien. Fritten sind sowas wie der Streetfood Inbegriff. Und in Flandern gibt es einen Koch, der ist so etwas wie der Streetfood-Bocuse (wenn man dann schon Frankreich ins Spiel bringen will). Grund genug, ihn hier einmal genauer vorzustellen.

Der Balls & Glory Foodtruck im Einsatz

Für den 36-jährigen Küchenchef sind Pommes Frites zwar Streetfood (und das schon lange bevor es den Namen überhaupt gab), aber eben kein Fast Food, sondern Ausdruck einer ausgeprägten Genusskultur. Authentisch, natürlich, handgemacht und in Ruhe zubereitet – also eigentlich sogar Belgian Slow Food. Das ist die Mission von Wim. Er liebt Fritjes, hat sich aber auf eine andere Spezialität verlegt: Seit 2012 bereitet er in seinen Restaurants und seinem eigenen Streetfood-Truck einfache, schmackhafte flämische Gerichte in einem neuen Gewand zu. Vergesst alle die Fleischbällchen, die ihr je an irgendwelchen Automaten gezogen habt.

Und seid gespannt auf einen unvergleichlichen Genuss: „Balls & Glory“ (der Name ist Programm!) könnt ihr in Gent, Antwerpen, Brüssel und Leuven und am Food-Truck kosten, der bei diversen Stadtfesten Station macht. (Termine)

In Video erklärt Wim genauer, welche Philosophie dahinter steckt. Seine Großeltern betrieben einen Bauernhof, seine Eltern eine Metzgerei. Wim wollte etwas Neues machen, etwas Moderneres, wie er sagt, und lernte Kochen auf hohem Niveau. Doch der ausgebildete Profikoch verabschiedete sich schnell wieder von der exklusiven Gastronomie und besann sich auf seine Wurzeln: Für ihn darf gutes Essen eben nicht elitär sein. Im Gegenteil: „Gutes Essen ist ein Grundrecht“, sagt er. Und so machte es sich Wim zum Ziel, ein Stück Farm der Großeltern in die pulsierenden Städte Flanderns zu bringen. Streetfood, so sagt Wim Ballieu, gibt es ja eigentlich seit es Straßen gibt. „Ich möchte einfach eine Kultur auf die Straße bringen – eine Kultur, die mehr zu bieten hat, als man denkt: Esskultur“. Und das gelingt ihm ziemlich gut. Wer schon mal bei ihm gegessen hat, der weiß, was ich meine: Seine handgemachten Fleischbällchen sind einfach Kult!

Vier Sorten gibt es jeden Tag zur Auswahl. Auch hier legt Wim die Messlatte hoch. Er verwendet nur frische Zutaten aus der Region und hat natürlich auch vegetarische Bällchen im Angebot. „Wir leben und kochen mit den Jahreszeiten“, erklärt Wim Ballieu. Jedes Jahr kreiert er neue Kollektionen mit den saisonalen Produkten: Die Füllungen reichen von klassischen Varianten wie „Tomate“ oder „Liegeoise“ bis zu eher ungewöhnlichen Kombinationen wie „schwarze Oliven & Anchovies“ oder mit getrockneten Tomaten, Chicorée oder Apfelkompott – Wims persönlicher Favorit ist übrigens das Rhabarber-Bällchen.  Egal, womit die Bällchen gefüllt sind, jedes wird 27 Minuten im Heißluftofen gebacken – auch eine Version von Fast Food in der Slow-Food-Ausführung.

Also, nichts wie hin und bei Eurem nächsten Flandern-Trip und Balls & Glory genießen! Und wenn ihr dann noch nicht satt seid, dann könnt ihr ja – so der Tipp von Wim – nur wenige Häuser entfernt von der Brüsseler Dependance des Balls & Glory die French Fries im „Fritland“ probieren. Man munkelt, das seien die besten in ganz Belgien. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte …

Wim isst belgische Fritjes am liebesten aus der Tüte.

Antwerpen, Flandern, Kirsten Lehnert, Kulinarik, Neu auf dem Flandern-Blog

Haute Cuisine ganz ohne Chichi – Kitchen Rebel Dennis Broeckx

„Ich denke, ich bin ein wenig rebellisch, sonst hätte ich in meinem Restaurant wohl weiße Tischdecken, andere Kellner und eine klassische Weinkarte“ – so beschreibt sich Dennis Broeckx, ein junger Küchenchef aus Antwerpen, selbst. Mit dieser Einstellung befindet sich der 33-jährige Koch in Flandern in bester Gesellschaft. Als einer von 53 Kitchen Rebels, einem Netzwerk von innovativen und kreativen Küchenchefs unter 35, mischt er derzeit die flämische Gastroszene auf. „Mit allem Respekt für die ältere Generation“, wie er selbst sagt. In seinem Restaurant ‚L‘Épicerie du Cirque – ausgezeichnet mit einem Michelin-Stern und 14 Punkten im Gault Millau – könnt ihr euch persönlich davon überzeugen lassen, wie cool Haute Cuisine sein kann. Weiterlesen …

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Blutleer oder Blutrot? Ein Portrait von Luc Tuymans

Einer der Höhepunkte des Barockjahres 2018 in Antwerpen wird die Ausstellung „Sanguine | Blutrot“ im M HKA sein, bei der Barockmeister mit zeitgenössischen Spitzenkünstlern konfrontiert werden.  Der Kurator der Schau ist selbst Künstler: niemand anderes als der in Antwerpen lebende Luc Tuymans, einer der einflussreichsten Maler der Gegenwart. Ich möchte die Ausstellung zum Anlass nehmen, euch diesen zeitgenössischen flämischen Meister einmal genauer vorzustellen.

Tuymans at work (c) Studio Tuymans

Luc Tuymans bei der Arbeit, © Studio Tuymans

Der 1958 in einem Vorort von Antwerpen geborene Künstler hat viele Bewunderer, aber nicht jeder kann seiner Kunst etwas abgewinnen. „Ausgebleicht die Oberflächen, blutleer und schwindsüchtig, lauter Bilder im Trüben, nebelverhangen“ so urteilte etwa Hanno Lauterberg vor einigen Jahren in der ZEIT über Tuymans Bilder. „Der Belgier Luc Tuymans ist nicht nur Maler, sondern einmal mehr auch ein begnadeter Inszenator des Schreckens“ meinte dagegen Jenny Hoch 2008 im SPIEGEL. Damals richtete ihm das Münchner Haus der Kunst anlässlich seines 50. Geburtstages gerade eine große Werkschau aus. Für Hoch ist Tuymans „Der Maler des Unmalbaren“, der das Grauen auf die Leinwand bannt. Sein beklemmendes Werk (seine Themen reichen von Holocaust, über Brustkrebs, bis Kindesmissbrauch) habe ihn zum Star gemacht. Weiterlesen …

Flämische Meister, Flandern, Kirsten Lehnert

Auch das größte Genie guckt mal ab – Rubens-Schau Städel

Im Juni beginnt das große Barockjahr in Antwerpen. Doch schon jetzt könnt ihr euch mit dem vielleicht prominentesten Vertreter der Flämischen Meister und „Barockstar“ Peter Paul Rubens beschäftigen. Ab dem 8. Februar wird in Frankfurt im Städel Museum die Ausstellung „Rubens. Kraft der Verwandlung“ präsentiert. „Diese Ausstellung“, so meinte die Frankfurter Rundschau kürzlich, „wird in Frankfurt mit Sicherheit zum Publikumsmagneten des Jahres werden“. Auch ich kann euch diese Ausstellung nur wärmstens ans Herz legen: Sie ist sicher eine ideale Einstimmung auf das Themenjahr. Schließlich widmet sie sich einem eher wenig beachteten aber vielleicht einem der spannendsten Aspekte in Rubens‘ künstlerischem Werk: der Auseinandersetzung des Malers mit Quellen und Vorbildern.

Datierung: o. J.Material/Technik: Skulptur / weißer MarmorHöhe: 147 cmInventar-Nr.: MA562

Römisch, Der von Cupido gezähmte Kentaur, Département des Antiquités grecques, étrusques et romaines, Museé du Louvre, Paris © bpk / RMN – Grand Palais

Rubens, Peter Paul; Kentaur, von links, Italien, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Z 05888, Köln

Peter Paul Rubens (1577-1640), Kentaur von Cupido gezähmt, Um 1601/02, Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Graphische Sammlung, © Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_c016031

Zeitlebens orientierte sich Rubens an der Bildhauerkunst der Antike und der Renaissance. In Rubens’ umfangreichem Werk findet ihr auch Einflüsse späterer Kunst aus Italien und nördlich der Alpen, er machte dazu Anleihen bei den alten Meistern des ausgehenden 15. Jahrhunderts und bei seinen Zeitgenossen. Die Schau zeigt zugleich, dass es hierbei nicht um einfaches Abkupfern ging. „Aus diesen fremden Formeln entstehen eigene Ideen, die in rasch ausgeführte, erstaunlich modern anmutende Federzeichnungen einfließen und dann durch Ölskizzen ausgearbeitet werden“ so steht es auf der Website des Kunsthistorischen Museums Wien zur Ausstellung. „Damit eignet sich Rubens Schritt für Schritt die Kunst der Anderen in teils unerwarteter Weise an und machte sie zu seiner eigenen. Es entsteht ein riesiges Repertoire, aus dem er beständig Neues schöpft.“ Weiterlesen …