Flandern, Kirsten Lehnert, Kulinarik

Sauerbier: Der Champagner unter den Bieren

Etwas wie Sauerbier anbieten – bei diesem Sprichwort denke ich ab sofort nicht mehr an Ladenhüter, sondern an eine ausgesprochen leckere regionale Spezialität aus Belgien. Bis zu meinem Besuch beim Brussels Beer Project im letzten Jahr hatte ich mit Bier nicht viel am Hut. Nun bin ich sogar zum ausgesprochenen Sauerbier-Fan geworden. Nach dem Genuss eines klassischen Kirschbiers bin ich auf den besonderen Geschmack gekommen. Das Kirschbier ist nur eine Variante des Sauerbiers, einer wichtigen Säule der weltberühmten belgischen Biervielfalt und Braukultur. Das belgische Bier zählt ja bekanntlich seit 2016 zum immateriellen UNESCO-Kulturerbe der Menschheit. Aber was ist Sauerbier genau? Was macht es so besonders?  Um das herauszufinden, habe ich mich auf Spurensuche begeben.

Brasserie Cantillon – Cantillon Brouwerij, Musée Bruxellois de la Gueuze © visit.brussels, Jean-Paul Remy

Wie die Hefe ins Bier kommt

Zuerst habe ich mich in einer kleinen Familien-Brauerei in Brüssel schlau gemacht. Die Brasserie Cantillon in einer kleinen Straße im Stadtteil Anderlecht hat sich auf Sauerbier spezialisiert. Zugleich ist sie die einzige noch aktive Brauerei in Brüssel, die für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Hier kann man den Braumeistern bei der Arbeit über die Schulter schauen. Mit viel Leidenschaft und alles andere als bierernst erläutern diese auf Führungen die einzelnen Schritte des Brauprozesses. So lerne ich, dass Sauerbier seinen mehr oder weniger säuerlichen Ton durch die Infektion mit Milchsäure- oder anderen Bakterien oder bestimmten Hefen erhält. Und dass das, was anderen Brauern den Angstschweiß auf die Stirn treiben würde, bei der Spontangärung zum Konzept gehört: Bei dieser typisch belgischen Braumethode tauchen Mikroorganismen nämlich quasi unkontrolliert im Brauprozess auf. Hefe wird nicht durch menschliches Zutun zugesetzt, sondern durch eine offene Lagerung des Sudes aus der kühlen Umgebungsluft „eingefangen“. So kommt die Gärung spontan in Gang – daher der Name. Danach gärt Lambic über Wochen in offenen Bottichen, ehe eine oft Jahre dauernde Lagerzeit beginnt. Jetzt verstehe ich auch, warum Lambic zu den anspruchsvollsten und komplexesten Bierstilen der Welt zählt.

Artenkunde

Wenn dem Gärbottich noch Früchte wie Himbeeren, Pfirsiche oder Kirschen zugefügt werden, spricht man von Fruchtlambic. Die bereits erwähnte Kirschvariante gilt als die populärste dieser Sorte und hat mit „Kriek“ sogar einen eigenen Namen. Eine weitere Unterart des Lambic ist das Faro, ein junges Lambic, das mit Kandiszucker versetzt wird. Gueuze schließlich wird durch Vermischen von jungem, noch nicht komplett vergorenem und zwei bis drei Jahre altem Lambic hergestellt und erhält durch dieses Verfahren seine typische sauer-frische Note und den hohen Kohlensäuregehalt. Aufgrund dieser Qualitäten wird Geuze auch als Champagner unter den Bieren bezeichnet. Seit 1900 werden bei Cantillon Faro, Geuze und Kriek nach althergebrachter Methode gebraut. Dass sich der Brauerei mit ihrem “Geuze Museum“ lohnt, meine übrigens nicht nur ich; der Guide Michelin hat diese Sehenswürdigkeit sogar mit einem Stern ausgezeichnet.

Regional geschützt

Die am besten geeignete Mikroflora um Lambic zu brauen, findet man in der Luft im Südwesten von Brüssel. So sind Brüssel sowie das gleich hinter Brüssel beginnende Pajottenland und das Sennetal Zentrum des Sauerbiers. Der Name Lambic ist außerdem regional geschützt: Nur Bier, das in der Gegend um Brüssel gebraut wird, darf so genannt werden.

Oude Kriek, Lindemans

Tour the Geuze

In Beersel am Südrand von Brüssel setze ich meine Erkundungstour fort. Hier bietet das Besucherzentrum “De Lambiek” nicht nur Infos über die einzigartige Gärmethode. Man kann auch alte Sorten wie Oude Geuze, Oude Kriek und andere Regionalbiere direkt probieren. Im Anschluss mache ich mich auf den 16 Kilometer langen Lambic-Rundweg zu 14 verschiedenen Brauereien und „Stekerijen“ (Verschneider). 

 Da diese eigentlich nur alle zwei Jahre bei der „Tour the Geuze“ ihre Pforten für Besucher öffnen (das nächste Mal am 1. und 2. Mai 2021), freue ich mich sehr, dass die Brauer mir zumindest virtuell Einblick in die Orte und Braugeschichte der Region verschaffen. Ich lese die außen an den Brauereien angebrachten QR-Codes mit meinem Smartphone ein und bin „drin“.  

Brasserie Cantillon Brouwerij

Nach meiner persönlichen Beer-Experience ist mir klar: Belgische Bierkultur kann durchaus mit der Weinkultur mithalten. Das traditionell in Eichenfässern gereiftes Bier mit den unterschiedlichsten Farbnuancen, Geschmacksnoten und Gerüchen spricht eben nicht den sprichwörtlichen Bierzeltbesucher, sondern vor allem den Genießer an. Und ich frage mich, welches Sauerbier ich beim nächsten Mal kosten soll: Lieber grünes Walnuss-Lambic, das „degorgierte Méthode champanoise Lambic“ oder das im Holzfass gereifte Tripel mit Milchsäuregärung?

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