Flandern

Flandern, Gent, Jan-Kai Vermeulen, Kulinarik

Die Veggie Kapitale Europas

Selbst die Fritten sind von morgen – Gent ist heute schon die Stadt der Zukunft: grün, in der City autofrei und fleischarm

von Jan-Kai Vermeulen

Kaffeepause in der Veggie Stadt Gent. Diese Ruhe. Und das mitten in einer Viertelmillionenstadt. Vor meinem Tisch nur das Surren der zahllosen Fahrräder. Schon die elektrische Tram eine Kreuzung weiter wirkt wie Ruhestörung. Seit April 2018 ist die Innenstadt von Gent autofrei – ausgenommen Anwohner, Taxis und Anlieferer (bis 12 Uhr). Ein SUV aus Aachen taucht an der Kreuzung auf, verunsichert, drehend, – nix wie weg. Dahinter wieder zwei örtliche Elektroradkuriere – einer ist fast als Liegerad konstruiert, mit geschätzt einem Kubikmeter Aufbau hinten. DHL steht drauf. Da passen viele Pakete rein.

© Stad Gent – Dienst Toerisme

Ja, erzählt mir Katalin vom Tourismusbüro, es habe „jahrelang Kampf“ wegen der Sperrungen gegeben. Auch in Gent war da die panische Angst der Händler, dass niemand mehr käme ohne Motorbrumm. „Aber am schlimmsten waren die Busunternehmer von außerhalb.“ Jetzt parken sie etwas außerhalb der red zone, mit Shuttle, und: es geht. Stärkste Kraft im Rathaus sind die Grünen, die agierten sehr clever: Sie überließen den Bürgermeisterposten einem Liberalen und können dafür umso mehr an der Verkehrswende arbeiten.

© Stad Gent – Dienst Toerisme

Gent ist Grün

Gent ist sehr grün, innerstädtisch befreit von der Geißel Automobil und – möglichst vegetarisch. Schon 2009 startete die Kampagne „Donnerstag = Veggietag“, begleitet von kostenlosen Kochkursen und Infokampagnen vor allem für Kids. Weniger Fleisch essen heißt: Weniger Abholzung für Rinderzucht und den Anbau vom Futtersoja, weniger Gülle, weniger CO2. Donnerstags gibt es in allen Genter Kitas, Schulen, in den Mensen der großen Uni und auch in den Kantinen für die 6.000 Stadtbediensteten nur vegetarische Kost. Ohne dass man fleischgierige Klagen höre, versichert mir Katalin. Das EU-Umweltbüro spricht von Gent als der „Vegetarier-Hauptstadt Europas“.

Veggie-Fritten

© Stad Gent – Dienst Toerisme

Und womit könnte man Umdenken in Belgien ernsthafter demonstrieren als mit Fritten? Nämlich mit Veggie-Fritten. In Gent gibt es mehr als ein Dutzend Frittenbuden, wo mit Pflanzenfett gebrutzelt wird (wie bei uns) und nicht mit dem in Belgien üblichen Rinderfett.

De Frietketel, © Stad Gent – Dienst Toerisme

Auf ins Frietketel, also den Frittenkessel, vielfach hochgelobt von Kunden als „beste Bude von ganz Flandern“ mit „Fritten zum Seligwerden“. Was für eine riesige kleine Portion! Das Fett schmeckt elementar frisch, die Stäbchen haben die perfekte Konsistenz, innen schmatzigweich und drumherum tatsächlich so knackig wie angeblich nur in Rindertalg möglich. Dazu die berühmte belgische Stoofvlees-Sauce, hier natürlich vegetarisch, zwiebelig und gewürzereich, so köstlich wie mit Fleischgeschmack. Erst pappensatt sehe ich, dass es hier auch vegetarische Bitterballen gibt.

Überall Fahrradkarawanen. Und völlig lautlos schnurrt ein blauer Elektro-Minibus vorbei, acht Sitze, Hop On Hop Off steht dran. Der kleine Kerl heißt Wandelbus. Drei davon kreiseln durch die City (Mo-Sa 10-23 Uhr), eine Spende der Stadt. Die Fahrten sind gratis. HopOn: ich surre ein Stück mit. Gent ist auch verkehrlich veggie.

Genusswelt im Biobauernmarkt

„Willkommen in der Wunderwelt BEO“ lockt mich ein Schild in einen Hofeingang. Das BEO gleich bei der Sint-Niklaas-Kerk ist ein holzfreundlicher, lichtdurchfluteter Biobauernmarkt mit kleinem Snack-Restaurant, der „Versbar“, was nichts mit Reimen zu tun hat, sondern Frischebar heißt. Hier kriege ich auch satt gleich wieder Appetit.

Gegenüber gibt es die hauseigenen Veggie-Fritten in der Friterie Tartaar. Nein, sage ich, ich möchte keine noch so kleine Portion, nur ein oder zwei einzelne Fritten bitte, zum Testen, verkosten. Komischer Gast, denkt der Fritteusist sicher und reicht mir ein paar. Sie schmecken ähnlich gut wie bei Frietketel: etwas fettiger, aber auch noch eine Nuance knackiger.

Moor & Moor in Gent, © Stad Gent – Dienst Toerisme

Später geht es zu Moor & Moor einen veganen homemade Kuchen essen, der Kaffee ist fairtrade: von der Abakundakawa-Plantage in Ruanda. Auch in chicen Restaurants wie dem Pakhuis gibt es das fleischlose Menu, zumindest donnerstags, etwa den Veggie Lunch, diese Woche ist es ein Spargelrisotto. Der Zweisternetempel Vrijmoed offeriert ein tierfreies Siebengängemenu („pur Grün“) und wurde 2018 zum zweitbesten Gemüserestaurant der Welt gekürt (nach einem katalonischen). Umstritten ist, wer in Gent die besten Veggie-Burger macht.

Ich fantasiere mir die Tiere in Gent grundglücklich zusammen: ein jegliches Schwein grunzt zufrieden bis ins Alter vor sich hin, das Geflügel gackert fröhlich ohne Legestress und auch die leckersten Lämmer sind tabu für Menschenzähne. Naja – man kann dem Getier auch in Gent durchaus an Rippen und Schinken. Es gibt sogar die Kategorie „5 beste Steak-Restaurants in Gent“. Aber selbst bei Gilles, dem edlen Monstersteakbräter, kann man Veggie of the day ordern.

Dinner im La Botaniste

La Botaniste, © Stad Gent – Dienst Toerisme

Der Höhepunkt meines Ausfluges in die grüne Biostadt mit ihren über 40.000 Studierenden wird das Dinner im Restaurant Le Botaniste, einer ehemaligen Apotheke, die bis unter die Decke vollgestellt ist mit alten Heilmitteldosen und Vorratsgläsern für das Restaurant.

Starter ist eine große Frische-Bowl: Blattsalat, dazu Marokko-Karotten mit leichtem Minztouch, Seaweed-Tartar, Humuscreme, ein himmlisches Rosinen-Zwiebel-Chutney, giftgrün das zauberleckere Erbsenmus, gedämpfte Gemüsestreifen – und alles mit immer neuen Gewürzexplosionen. Das ist Kochkunst! Wie banal ein gegrilltes Stück noch so zartes Fleisch ist! Hauptgang: Tibetan Mama Kokos-Curry auf knackfestem Naturreis, dazu noch ein Glas Bio-Rosè. Leider reichen die Magenkapazitäten nicht mehr für Pasta Il Mafioso.

Und ebenfalls leider: Ausgerechnet die nette Bedienung im Botaniste schimpft über die Autoaussperrung. Denn dadurch, erzählt sie mir, fahren jetzt durch die angrenzende Straße ihrer Wohnung „mindestens doppelt so viele Autos wie vorher“. Pech gehabt. Aber das Borderline-Wohnen wird aufhören, da sind wir uns einig, sobald die Verbotszone für die stinkenden Krachmaschinen ausgeweitet wird. 2025, hatte Katalin gesagt, „wollen wir Ökostadt Europas werden“.

Flandern, Kultur, Küste

Die Belle Epoque an der flämischen Küste entdecken

von Meike Nordmeyer

Wer in De Haan mit der Straßenbahn ankommt, der wird gleich vom Flair der Belle Epoque begrüßt. Der flämische Küstenort ist von der Architektur dieses Zeitalters geprägt und verströmt damit einen ganz besonderen Charme. Der Bahnhof der Küstenstraßenbahn in De Haan stammt aus dem Jahr 1902. Gut erhalten und schön restauriert empfängt das Gebäude die Reisenden, die mit der Straßenbahn ankommen, auf die sie umgestiegen sind, nachdem sie entweder mit dem Zug in Blankenberge oder in Ostende angekommen sind.

Mit der Küstenstraßenbahn lässt es sich heute schnell und unkompliziert von einem Ort zum anderen an der 68 Kilometer langen flämischen Nordseeküste fahren. Schon 1885 wurde eine Dampfstraßenbahn an der Küste angelegt, zunächst von Middelkerke nach Ostende. 1886 folgte ergänzend die Linie von Ostende über De Haan nach Blankenberge. So wie einige Jahrzehnte zuvor die Anbindung durch eine Eisenbahnstrecke brachte auch der Bau der Straßenbahnlinie zu dieser Zeit einen enormen Entwicklungsschub für den aufkommenden Tourismus an der flämischen Küste.

Ein prächtiges Gebäude der Belle Epoque: Das Grand Hotel Belle Vue. Hier wohnte einst auch der Schriftsteller Stefan Zweig. Foto: Meike Nordmeyer

Stefan Zweig und Albert Einstein weilten in De Haan

Ich bin am Nachmittag mit der Straßenbahn in De Haan angekommen und laufe von dort aus zu meinem Hotel. Das Grand Hotel Belle Vue ist nur wenige Meter vom Bahnhof entfernt und ebenfalls ein prächtiges Bauwerk aus der Belle Epoque. Der Schriftsteller Stefan Zweig hat schon in diesem Hotel gewohnt und der Physiker Albert Einstein kam öfters dorthin und trank auf der Terrasse eine Tasse Tee. Das erzählt mir Guide Brigitte Hochs am nächsten Tag während einer Führung durch den Ort. Wir laufen gemeinsam zum Haus „Savoyarde“ an der Shakespearelaan, in dem Einstein im Jahr 1933 für sechs Monate als Gast wohnte. Die Erinnerung an diese Zeit ist sehr präsent geblieben in De Haan. Brigitte, die dort aufgewachsen ist, hat vor einiger Zeit noch ältere Bekannte von Begegnungen mit dem berühmten Physiker erzählen hören – wie man beispielsweise Musikabende besuchte, auf denen Einstein auf seiner Geige spielte. Außerdem kehrte der Physiker damals auch in das gehobene Restaurant „Coeur Volant“ ein, wo er den Maler James Ensor traf, der in Ostende lebte. Das Gebäude dieses Restaurants ist noch erhalten, wenn auch durch Umbau stark verändert. Eine Infotafel steht davor und zeigt ein Foto, auf dem das Treffen von Einstein, Ensor und anderen Herren zu sehen ist.

Im Haus „Savoyarde“ an der Shakespearelaan in De Haan lebte Albert Einstein im Sommer 1933 für sechs Monate. Foto: Meike Nordmeyer

Ich laufe gemeinsam mit Brigitte Hochs durch das historische Villenviertel „Concession“ und sie erzählt mir viel über die schönen, in der Dünenlandschaft gelegenen Gebäude. Sie macht mich auf die typischen Elemente der Villen aufmerksam: Erker, Türmchen, Balkone, Terrassen, häufig rot gedeckte Dächer, die sich stellenweise weit nach unten ziehen. Das Bauen in diesem Stil war seinerzeit vorgeschrieben für dieses Viertel und dabei waren nur wenige Etagen erlaubt. Die Grundstücke, auf denen die Villen stehen, weisen oftmals recht wellige Böden auf. Die Landschaft der Dünen wurde in den Gärten weitgehend so belassen. Eine akkurate Einebnung wäre bei dem sandigen Boden ohnehin nicht von Dauer gewesen. Und so wirkt das Viertel um so idyllischer und naturverbundener.

Die strenge Begrenzung auf nur wenige Stockwerke galt in De Haan auch noch in den 1970er Jahren und darüber hinaus. Das machte den Ort uninteressant für die Investoren und Baufirmen, die in dieser Zeit viele Neubauprojekte umsetzen wollten. So ist es in einer Broschüre über das architektonische Erbe von De Haan zu lesen, die von der Gemeindeverwaltung herausgegeben wurde. Auf diese Weise blieb De Haan von der unsanften Modernisierungswelle jener Zeit weitgehend verschont. Die Hochhaus-Manie, die in anderen Küstenorten in Flandern einsetzte, hatte dort keine Chance. Was für ein Glück für De Haan, denn so blieb ein großer Teil der historisch wertvollen und malerischen Architektur der Belle Epoque erhalten. Kaum zu glauben ist heute, dass dem Bahnhof der Straßenbahn noch 1977 der Abriss drohte. Doch die Gemeinde De Haan kaufte das Gebäude für einen symbolischen Franc und rettete ihn damit. Heute steht der Bahnhof unter Denkmalschutz und gilt gemeinsam mit den vielen historischen Villen als ein besonderes Schmuckstück der flämischen Küste.

Auch Blankenberge hat Belle Epoque zu bieten

Weniger bekannt ist, dass auch das nahe gelegene Blankenberge einige historische Schätze zu bieten hat. Das würde man zunächst nicht vermuten. Denn an der Promenade und auch in den dahinterliegenden Straßen reihen sich zahlreiche hochgeschossene Apartmenthäuser aus jüngeren Zeiten aneinander. Doch es gibt auch ein kleines Gebiet im Zentrum zu entdecken, – in der Nähe vom Casino, rund um die Sint-Rochuskerk – in dem einige Häuser aus der Zeit der Belle Epoque erhalten sind.

Schöne historische Fassaden zeigen sich an der Elisabethstraat in Blankenberge. Dort befindet sich das Belle Epoque Centrum, ein Museum das über diese Zeit an der flämischen Küste informiert. Foto: Meike Nordmeyer

Ich treffe mich mit Guide Margot Muir im Belle Epoque Centrum, einem kleinen, interessanten Museum, das zu diesem Thema in Blankenberge entstanden ist. Es ist in einem Häuserblock aus dieser Zeit untergebracht, und schon auf dem Weg dorthin kann ich einige schöne Fassaden bewundern. Das Museum vermittelt ein Bild dieser Epoche in Blankenberge und insgesamt an der flämischen Küste. Es zeigt, wie der Badetourismus dort im 19. Jahrhundert aufkam, als dort noch viele Fischer in armen Verhältnissen lebten und nun die reichen Leute an die Küste kamen, um die gesunde Meerluft zu genießen und zu baden, was damals eher bedeutete, ein wenig im seichten Meerwasser zu waten. Auch Schriftsteller und Wissenschaftler fanden sich ein, wie zum Beispiel Charles Darwin, Fjodor Dostojewski, Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud, auch darüber informiert das Museum. Historische Fotos und Werbeplakate, typische Kleider der Zeit, Möbel, Vasen, Geschirr und vieles mehr ist zu sehen. Ein Raum im Erdgeschoss konnte komplett originalgetreu eingerichtet werden. Darin lässt sich die Atmosphäre von einst nachspüren.

Im Belle Epoque Centrum in Blankenberge ist ein großer Raum originalgetreu wie einst eingerichtet worden. Foto: Meike Nordmeyer

Im Anschluss an den Museumsbesuch zeigt mir Margot noch einige historische Häuser in den Nachbarstraßen. Die Villa Olga an der Descampsstraat ist besonders beeindruckend. Die Fassade ist komplett mit Kacheln bedeckt, auf denen stellenweise geometrische Muster und zum überwiegenden Teil kunstvoll verschlungene Blumenranken dargestellt sind. An der Rogierlaan ist außerdem auf einer Seite noch ein ganzer Straßenzug von einst zu sehen. Die Häuser der gegenüberliegenden Seite hingegen sind verschwunden, sie mussten seinerzeit Neubauten weichen. Margot erinnert sich noch gut, wie schön und stimmig die Straße einst aussah und was mit dem Abriss alles verloren ging. Sie schüttelt immer wieder den Kopf, während sie davon spricht.

Ein anderes Bauwerk aus der Zeit ist aber erhalten geblieben in Blankenberge und darüber ist Margot besonders froh. Das ist der sogenannte Paravang (nach französisch Paravent) am Jachthafen. Es handelt sich um einen schmucken, langgestreckten Windschutz mit durchgehender Sitzbank, 1908 errichtet im neogotischen Stil. Der Paravang zog sich am damaligen Fischerhafen entlang. Dort konnten die vornehmen Urlauber sitzen und den einfachen Fischern bei ihrer Arbeit an den Booten und den Netzen zuschauen. Noch heute dient der Paravang vielen Passanten als Sitzgelegenheit für die spontane Rast oder als beliebter Treffpunkt. „Viele Mädchen aus Blankenberge haben dort ihren ersten Kuss bekommen“, verrät mir Margot. „Und ich auch! Das ist ein guter Ort dafür, denn ich bin jetzt schon 50 Jahre verheiratet“, erzählt sie fröhlich. Eins ist klar nach meinem Abstecher nach Blankenberge: Der Besuch dort ist eine lohnende Ergänzung, um die Belle Epoque an der flämischen Küste kennenzulernen. Mit der Küstenstraßenbahn lässt sich diese Tour von De Haan ganz einfach und bequem unternehmen – wie schon in alten Zeiten.  

In Blankenberge ist der Paravang erhalten geblieben, ein langgestreckter Windschutz mit Sitzbank aus dem Jahr 1908. Er dient auch heute noch als Ort zum Rasten und als beliebter Treffpunkt. Foto: Meike Nordmeyer
Flämische Meister, Flandern, Janett Schindler, Kultur

Mit Bruegel nach Bokrijk

von Janett Schindler

Ich liege auf dem Boden einer riesigen Scheune und schaue in einen Spiegel über mir. Als Teil eines sehr alten Gemäldes. Ich bin Teil von Pieter Bruegels „Der Kampf zwischen Karneval und Fasten“. Ein Bild aus dem Jahr 1559. Wie genau ich Teil dieses Bildes wurde und warum nicht nur Bruegel-Fans unbedingt nach Bokrijk reisen sollten – das erfahrt ihr hier!

Bokrijk – ein Freilichtmuseum

Die Domein Bokrijk ist ein ehemaliges Landgut mit einer bewegten Geschichte, die 1252 begann. Das Wort Bokrijk stammt vom Buscurake (Reich an Buchen). Ein Wald umgibt auch heute zu einem großen Teil das Gelände des Museums. Abtei, Bauernhof, Landgut – bis das Museum 1958 eröffnet wurde verging einige Zeit.

© Janett Schindler

Die Idee des Museums? Historische Gebäude aus Flandern langfristig zu erhalten. Insgesamt 140 historische Gebäude sind hier zu finden. Das älteste Haus stammt aus dem Jahre 1507.  Just aus jener Zeit also in der Pieter Bruegel als Künstler vor allem in und um Brüssel tätig war. Anlässlich des Bruegel-Jahres 2019 widmet sich das Freiluftmuseum dem Künstler auf 11 Stationen.

Die 11 Stationen der “World of Bruegel”

Am Eingang werden wir von Jaak Meyssen erwartet.  Mit “Willkommen in Bokrijk!” begrüßt er uns in einem recht guten Deutsch. Schon im Eingangsbereich fallen mir die die roten Markierungen im Park auf. “Dies ist der Bruegelparcour!” berichtet Jaak. Insgesamt 11 Häuser und/oder Orte beziehen sich auf die Kunst und das Leben von Bruegel.

© Janett Schindler

Im Infocenter erhalte ich ein “Narrenarmband”. Mit einem virtuellen “Hut”, der sich auf meinem Band befindet, kann ich auf Schatzsuche gehen und unterwegs Objekte digital sammeln – die zum “Der Kampf zwischen Karneval und Fasten” – Kunstwerk passen. Auf dem Armband können zudem Bilder gespeichert und die Tour später noch einmal erlebt werden.

Auch wenn “The World of Bruegel” in Bokrijk nur bis zum 20.10.2019 läuft – Bruegel findet hier immer statt. Ein großer Teil des Freiluftmuseums ist stark vom Renaissance-Künstler beeinflusst. Josef Weyns, der erste Kurator von Bokrijk hat sich bei der Konzeption des Parks stark von den Bildern von Bruegel dem Älteren inspirieren lassen.

© Janett Schindler

Vor allem in den Museumsteilen Haspengau und auch in Ost- und Westflandern erkennen Kunstbegeisterte sehr häufig Ähnlichkeiten.

Wir gehen auf Entdeckungsreise – und ich verweile etwas länger in der Scheune Lommel-Kattenbos. Hier zeigt sich wie talentiert Pieter Bruegel der Ältere in Landschaftsmalerei war. In der Gemäldeserie von 1565 zeichnet Bruegel die Monate auf. Ein Gemälde fehlt und wurde bisher nie gefunden – dies wurde vom belgischen Künstler Frits Jeuris gemalt und passt perfekt in die Bruegel-Serie. Oder erkennt ihr den Unterschied?

Die Jäger im Schnee, Die Heimkehr der Herde, Die Kornernte, die Heuernte und der Düstere Tag sind als Kopie in Bokrijk zu finden. Das Frühlingsbild wurde von Frits Jeuris gemalt.
© Janett Schindler

An der Spielscheune laufen wir vorbei und begeben uns zum Bruegel-Hof Vorselaar. Dieser entspricht übrigens dem “Bruegel-Hof” aus Pieter Bruegels Werken recht gut. In der Küche des Hofes, die dem Leben im 16ten Jahrhundert nachempfunden ist, entdecke ich die beiden Bruegel Kunstwerke “Die Magere Küche und die Fette Küche”. Wie passend! An einem Tisch möchte ich gerne basteln. Jaak schaut auf die Uhr. Wir haben noch einiges mehr zu entdecken!

Vorbei an der Windmühle entdecke ich auch die Landwirtschaft. Kühe und Schafe weiden, es wird Gemüse und Hanf angebaut und mich würde es gerade nicht wundern wenn plötzlich auch noch ein paar Enten den Weg kreuzen würden.

Die Windmühle ist besonders – sie lässt sich mit dem Wind drehen. Apropos Mühle – aufgrund seines Namens wird bis heute vermutet dass Bruegel aus Brogel stammt und dort vielleicht in einer Mühle aufgewachsen ist. Die Ölmühle Ellikom ist dieser Zeit nachempfunden.

© Janett Schindler

Wir gehen an einer Kreuzung vorbei durch einen Wald und hören von Jaak Meysen die Geschichte von Bruegels Wildem Mann. Die Hütte des wilden Mannes könnt ihr übrigens auch in Bokrijk besuchen. Ich hab mich nicht getraut!

© Janett Schindler

Am Platz der Sinne befindet sich eine Tribüne. Ab Mitte Juli bis Anfang September könnt ihr euch hier täglich zwischen 11 und 14 Uhr von Künstlern in eine Brugel-Welt entführen lassen. Was die Sinne angeht – dort gibt es auch eine leckere Paradieswaffel zu probieren. Die hat jedoch mit der heute bekannten belgischen Waffel so gar nichts gemeinsam. Unbedingt probieren!

Paradieswaffel (von Zutaten aus dem 16ten Jahrhundert inspiriert), © Janett Schindler

Inzwischen sind wir am Ende unserer Tour angekommen – der Scheune von Zuienkerke.  Die Scheune aus dem 16ten Jahrhundert ist riesig. Ich bin an diesem Tag fast allein in der Scheune und komme aus dem Staunen nicht heraus.

© Janett Schindler

Das Gemälde “Der Kampf zwischen Karneval und Fasten” wird im inneren der Scheune gespiegelt – was jedoch noch viel cooler ist – es gibt die Möglichkeit sich durch diese Spiegelung selbst in das Bild hinein zu beamen. In dieser Größe werden mir so einige Details des Kunstwerkes erst bewusst – Gestiken, Mimiken und besondere Figuren. Die Details, die rund um das Gemälde zu finden sind, sehe ich erst auf den zweiten Blick und auch die virtuellen Spiegel sind für alle “Hut-Sammler” recht spannend. Ein tolles Finale einer spannenden Tour!

Habt ihr Hunger? Essen wie im 16ten Jahrhundert

Jaak bringt uns wieder zurück ins Zentrum von Bokrijk. “Habt ihr Hunger?” fragt er uns. Und ja. So viel Kultur und Kunst macht hungrig. Im “In St. Gummarus” werden wir schon erwartet. Auf Empfehlung probiere ich einen “Wilden Mann” – ein Dunkelbier.

© Janett Schindler

Ziemlich stark! Unser Tisch (romantisch am Kamin) füllt sich kurze Zeit später mit dem “Bruegel-Menü”. Pommes, Gulasch, Apfelmus, Hackbällchen, Krautsalat – wir sind froh nur eine Portion geordert zu haben. Zum Nachtisch gibts eine Paradieswaffel – jetzt fehlt eigentlich nur noch ein Platz für das Mittagsnickerchen!

Ein Kreativprogramm zum Abschluss.

Mit dem Schlaf nach dem Essen wird es nichts – denn wir haben an diesem frühen Nachmittag noch zwei Termine. Brot backen und Töpfern. Das sind übrigens nicht die einzigen Kreativkurse die in Bokrijk angeboten werden.

Im Bruegel-Jahr gibt es einen Workshop zum Thema “Hüte” – wir jedoch probieren uns am Brot und am Ton. Zuerst gestalten wir ein Brot – der Teig wurde schon vorbereitet.

© Janett Schindler

Nach gut 10 Minuten waren meine Figuren fertig – und landeten im Ofen und ich machte mich auf zum Töpfern. Spannend – dies auch mal auszuprobieren!

© Janett Schindler
  • Mehr über die Ausstellung: https://www.dewereldvanbruegel.be/de/
  • Der Eintritt in das Freiluftmuseum kostet 12,50 Euro für Erwachsene, Kinder bis 12 Jahre zahlen 2 Euro. Der Parkplatz schlägt mit 5 Euro zu Buche.
  • Das Museum ist geöffnet von April bis Ende Oktober – Dienstag bis Sonntag von 10 – 18 Uhr.
  • Kreativkurse und auch das Essen sollten vorbestellt werden
  • Führungen sind möglich ab 5,50 Euro pro Person.
Flämische Meister, Flandern, Jan-Kai Vermeulen, Kultur, Neu auf dem Flandern-Blog

In Situ: Kleine Städte, große Meister

Eine Rundreise zu Leonardo da Vinci, Rubens und van Eyck

von Jan-Kai Vermeulen

Ivo Cleiren wartet vor einem mächtigen Holztor in der riesigen Abtei von Tongerlo auf mich. Nein, er sei kein Mönch, sein langes weißes Gewand sei die Kleidung der Norbertiner, eine Priestergemeinschaft des Augustiner-Ordens. Der überaus freundliche 70-Jährige, der hier seit 50 Jahren lebt, ist der Kurator des Abdij-Museums und will mir das Geheimnis von Leonardo da Vinci in seiner Abtei erklären. „Kommen Sie mit.“ Ich folge in ein Labyrinth von Gängen.

Das Projekt „In Situ“

Fünf von 45 Orten werde ich besuchen, die zum Projekt In Situ gehören. In Situ heißt Vor Ort; die Bilder von großen flämischen Meistern finden sich meist in abgelegenen Städtchen und Dörfern – immer an ihrem angestammten Ort in Kapellen, Klöstern, Beginenhöfen oder Schlössern, von Maaseik im Osten bis Veurne nahe der Küste.

Van loon Visitation, Flemish Masters in Situ

In der Basilika von Scherpenheuvel dreht sich alles um die Gottesmutter. „Welkom bij Maria“ steht groß in Weiß auf leuchtendem Lichtblau über dem Eingang der achteckigen Pilgerkirche. Sieben Werke von Theodoor van Loon sind zu sehen, das wichtigste, „Mariä Himmelfahrt“, hängt hinter dem Altar. Gerade läuft eine Messe, es ist brechend voll. Kaum ist die Messe beendet, wird in situ die nächste gestartet. Weltliches Kunstinteresse muss warten.

Gut, dass die sechs anderen Bilder ringsherum in Chorecken platziert sind. Da kann ich zum kräftigen Gesang der Priester reichlich schriftliche Erklärungen aufsaugen. Zum Beispiel: „Sehen Sie, was für ein schönes Baby Maria ist! Die Engel tollen freudig herum.“ Und dann Marias Lebensweg verfolgen: immer im lichtblauen Gewand.

Spannende Einblicke in neue „Ausstellungsräume“

Weiterlesen …
Brügge, Flandern, Janett Schindler, Kultur

Das Gruuthusemuseum – in drei Jahrhunderten durch Brügge

Blick auf das Gruuthusemuseum und die Kathedrale

von Janett Schindler

Brügge bietet viele spannende Orte, die es zu entdecken gilt. Mehr als 30 Kirchen (rund die Hälfte davon in der Altstadt), zahlreiche Museen, Kunstausstellungen und beeindruckende Plätze verführen so manchen Touristen zum Verweilen. Nicht erst „Brügge sehen und sterben“ hat zahlreiche Gäste in die Stadt in Flandern gelockt. Die Kombination zwischen schmucken alten Häusern und ansehnlichen Grachten ist einfach sehenswert.

Seit Mai 2019 hat Brügge ein weiteres Highlight.

Zentral gelegen könnt ihr eine Zeitreise in das Mittelalter von Brügge erleben. Das Gruuthusemuseum – das kann ich vorab schon verraten – lässt nicht nur Kunstfans und Zeitreisende wie mich begeistert zurück.

Blick aus dem Gruuthuse Museum, © Janett Schindler

Rund 5 Jahre war das Gruuthusemuseum geschlossen, rund 9 Millionen wurden für die Neugestaltung investiert und eine ganze Woche wurde im Mai die Wiedereröffnung des Stadtpalais der Familie Gruuthuse gefeiert.

Reisen wir zurück in die Zeit.

1425 war es, als Johann IV von Gruuthuse mit dem Bau eines Herrenhauses am Dijverkanal begann. Die Familie Gruuthuse verdiente ihr Geld mit Grut (Eine Art Kräutermischung). Das Grut war im Mittelalter Bestandteil des Bieres. Selbiges wurde von jedermann getrunken – demzufolge hatte die Familie viel Geld und somit auch viel Einfluss im Burgundischen Brügge.

Map of Bruges, 1546 – 1600, Anonymous master, Bild © Janett Schindler

Selbst nachdem Grut nicht mehr genutzt wurde durfte die Familie Steuern auf Bier erheben. So kommt es auch, dass über mehrere Jahrhunderte wertvolle Kunstwerke, Wandteppiche und Zeitdokumente durch die Familie gesammelt wurden. Als Museum fungiert das Stadtpalais seit 1888. Die letzte umfangreiche Restauration fand in den letzten Jahren statt – ich finde – es hat sich gelohnt!

Besucht mit mir das Gruuthusemuseum!

Auf dem Hof des Gruuthusemuseum stoßen Gegenwart und Vergangenheit aufeinander. Der modern wirkende Ticketshop ist für alle Besucher der erste Anlaufpunkt.

Gruuthusemuseum, © Janett Schindler

Erst von dort geht es mit einem Audioguide durch eine liebevoll verzierte Eingangstür. Der “Lockerroom” war früher einmal der Raum für die Guillotine – heute jedoch passiert hier keinem Gast etwas.

Lockerroom im Gruthuusemuseum, © Janett Schindler

Von dort aus werden wir in drei Zeitepochen in das Leben der Familie Gruuthuse hineingezogen. Gut besucht ist das Museum – Mehrsprachig in Wort und Schrift ist es jedoch nicht nur für Einheimische spannend. Ich bin sehr begeistert von den prunkvoll verzierten offenen Kaminen und den wunderschön bemalten Decken.

Weiterlesen …
Flandern, Kirsten Lehnert, Kulinarik, Mechelen

Die Vleeshalle – der neue Foodmarkt in Mechelen

von Kirsten Lehnert

Mechelen war mir bisher vor allem bekannt durch das Museum Hof van Busleyden in dem prachtvollen Renaissancepalast, die königliche Teppichmanufaktur oder die Brauerei im Beginenhof. Seit meinem letzten Besuch in der Stadt kenne ich nun eine weitere Attraktion: Denn Ostern öffnete in der alten Fleischhalle ein wirklich schöner Foodmarkt seine Tore. Ich möchte Euch diesen neuen kulinarischen Hotspot im Herzen von Mechelen vorstellen.

© Visit Mechelen

Noch bevor ich den Duft der frisch gebackenen Focaccia oder der würzigen asiatischen Suppen in der Nase hatte oder auch nur einen Bissen an einem der vielen Stände probieren konnte, war ich schon begeistert. Allein die Location ist schon ein Genuss. Die Vleeshalle ist – wie der Name schon sagt – eine alte Fleischhalle. Mit Galerien über drei Etagen, von grünen gerundeten Stahlträgern gestützt und detailreich gestaltet. Durch die Glasfenster unter dem hölzernen Giebeldach scheint Tageslicht hinein. In der 1881 erbauten Markthalle verkauften früher die Mechelner Metzger ihre Ware. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg war das Gebäude immer mehr verfallen, 1967 wurden die Tore der Fleischhalle endgültig geschlossen.

Die Vleeshalle früher, © vleeshalle

Die Geschichte der Vleeshalle

Nach diversen Zwischennutzungen etwa als Veranstaltungsraum und Filmkulisse wurde die denkmalgeschützte Halle nun aus dem Dornröschenschlaf wachgeküsst. Veronique Smolders und ihr Partner Kevin Goos haben sich hier einen Traum verwirklicht und eine wirklich gelungene Mischung aus Markt, Lokalen, Shop und Büros geschaffen – in einem Ambiente, in dem man die Geschichte der Ortes wirklich noch spüren kann. Die Beiden haben als Organisatoren des berühmten Bierfestivals in Mechelen übrigens schon gezeigt, dass sie Genussprojekte erfolgreich umsetzen können.

© Visit Mechelen

Im Zentrum dieses hippen Foodmarktes findet ihr einen Barbereich, hier kann man sich gut niederlassen und einfach genießen. Drum herum tummeln sich 12 Anbieter von den unterschiedlichsten Köstlichkeiten. Italien, Vietnam, Mexiko, Spanien und Irland liegen hier eng beisammen. So könnt ihr mit kleinen Häppchen kulinarisch einmal um die ganze Welt reisen. Ihr findet Streetfood, Tapas, Wurstwaren, Burger, Käse, Patisserie, Fischgerichte, frische Säfte, Kaffee, Tee, Suppen. Wer mag, kostet die vietnamesischen Frühlingsrollen mit frischem Koriander, die Steven an seinem Stand “Bāmbū” anbietet. Elena peppt ihre Tapas nach den Rezepten ihrer Großmutter mit einem modernen Kick auf. Mich hat vor allem die handgemachte Guacamole von Karen vom “Alma Libre” umgehauen. Und die frischen Salate und Gemüse-Bowls bei “Urban Greens” sind schon fürs Auge ein Genuss.

Im Foodmarkt könnt ihr übrigens auch zahlreiche frische, hochwertige und viele regionale Produkte kaufen und zuhause selbst etwas daraus zaubern. Ich habe noch ein Schwätzchen mit Imker Johan gehalten und mir als Erinnerung dann ein Glas Honig mitgenommen.

Mehr als ein Foodmarkt

Und da Genuss nicht nur eine Sache für den Gaumen ist, könnt ihr in der Vleeshalle auch noch andere schöne Dinge kaufen. In den oberen Etagen etwa findet ihr bei Colorfool Möbel, Accessoires und Mode.

Flandern, Kirsten Lehnert, Kulinarik, Küste

Lust auf Meer? Die belgische Küste und ihre besten Fischrestaurants

von Kirsten Lehnert

Ich bin ja schon durch viele romantische Städtchen in Flandern geschlendert und habe mich anschließend mit den leckersten regionalen Spezialitäten und den besonderen Varianten des Street Food verwöhnt. Neulich war mir dann mehr nach Meer und nach Sea Food. Was lag da näher, als einen Gastrotrip an die belgische Küste zu machen? Hier kann man den frischen Fang direkt mit Meerblick genießen.

Genussort mit Aussicht, der Küstenort Blankenberge © Toerisme Blankenberge, Westtoer

Ich habe mir ein paar der besten und kultigsten Fischlokale angeschaut und das ein oder andere Meeresfrüchtchen probiert. Mein Fazit: unbedingt empfehlenswert. Drei ganz unterschiedliche Lokale will ich hier vorstellen. Aber Vorsicht, der folgende Text könnte bei Genussmenschen akute Lust auf mehr/Meer auslösen und das dringende Bedürfnis, sofort an die Küste zu fahren…

Frischer Hummer ist eine der Spezialitäten im Restaurant Oesterput © Oesterput

Der Hummer ist der Hammer

Mein erster Tipp für die belgische Küste ist das „Oesterput“ in Blankenberge, ein Traditionslokal, das Piet Devriendt bereits in 4. Generation führt. Es liegt etwas versteckt im Hafengebiet in einer eher unscheinbaren Halle. Was 1885 als Großhandel für Fisch und Schalentiere begann, hat heute Kultstatus. Noch immer werden Fisch, Austern und Hummer von hier ins ganze Land geliefert. Piets Urgroßvater errichtete hier 1888 das erste mit frischem Meerwasser gefüllte Becken und züchtete selbst Austern. Im authentischen Ambiente der Lagerhalle könnt ihr an langen Tischreihen nun Austern bis zum Abwinken genießen. Frischer geht’s wohl kaum. Die Spezialität des Hauses ist aber Hummer und der ist – man verzeihe mir das Wortspiel – der Hammer! Zum Tagespreis und zum Reinlegen. Leuchtende Farbe, zartes Fleisch, authentische Atmosphäre. Dazu ein leckerer Weißwein. Das muss sein, bei aller Liebe für die belgische Bierkultur. Alle Speisen, von den Garnelen-Kroketten bis zu den Tomaten-Garnelen, werden nach alten Familienrezepten zubereitet. Wer keinen Platz im Lokal bekommt (reservieren kann man hier leider nicht), der kann Hummer, Meeresfrüchte und Austern auch außer Haus genießen.

Info: Oesterput, Wenduinse Steenweg 16, 8370 Blankenberge,
Tel: +32 50 41 10 3, www.oesterput.com

Authentisches Ambiente im Oesterput © Oesterput

Oh, wie schön!

Was dem einen sein Austernbecken ist dem anderen sein Fischteich. Ivan Puystiens hat seinen in der Mitte seines Lokals „Oh“ platziert. Ein schöner Blickfang in dem Restaurant, das an sich schon viel für‘s Auge zu bieten hat. Mein Tipp für Menschen, die nicht nur gute Fische-Küche mögen, sondern auch stylisches Ambiente. Neben dem originellen Interieur (der Name Oh verweist auf ‚Wasser‘ – und das findet ihr hier als Gestaltungsmerkmal auch an den Wänden) können sich auch die Gerichte sehen und schmecken lassen.

Das Auge isst mit im Oh Restaurant © Oh Restaurant

Ivan Puystiens, der wie Piet vom „Oesterput“ ein Kind der Küste ist und schon mit seinem Großvater Muscheln gesammelt hat, serviert hier regionale Produkte mit Einflüssen aus aller Welt. Ich habe die Langusten mit Chorizo, Chicorée und Limone getestet. Oh, wie lecker! Dazu gibt es im Oh natürlich nicht nur Wasser, sondern auch tolle Weine, darunter zahlreiche Bio-Weine, schließlich ist der Eigentümer zugleich Sommelier. Bei schönem Wetter könnt ihr das alles auf der Sonnenterrasse genießen. Nicht nur mir hat‘s geschmeckt, die Tester vom Gault Millau haben dem Oh 13,5 Punkte gegeben.

Info: Oh Restaurant, Koninklijke Baan 289, 8670 Sint-Idesbald, Tel: +32 58 52 05 72, www.ohrestaurant.be

Sonne und Sand satt im „Westhinder“ © Westhinder

Sand und Sonne

Mein absoluter Favorit, wenn ihr ein Fischrestaurant für eure Reise an die belgische Küste sucht, ist das „Westhinder“. Sowohl die Lage, als auch die Atmosphäre sind einfach einzigartig. Wenn ihr den gepflasterten Wanderweg von Wenduine Richtung De Haan bis zum Ende geht – das dauert etwa 20 Minuten – findet ihr die wohl coolste Strandbar in Belgien. Bis vor zwei Jahren stand hier noch eine schlichte schwarze Holzbude. Die ist einem schlichten aber stylischen Kubus aus Stein und Glas gewichen. In diesem ungewöhnlichen Strandimbiss, serviert Nadine Dewulf, die das Lokal an den Dünen seit mehr als 40 Jahren mit viel Liebe betreibt, ihre hausgemachten Krabbenkroketten und eine wirklich schmackhafte Fischsuppe. Zugegeben, das hat seinen Preis, aber allein die Lage ist unbezahlbar. Ihr könnt Euch natürlich auch einfach so auf die Terrasse setzen und Waffeln, Eis und den Blick auf Strand, Meer und Dünen genießen. Von Mai bis September ist es das Westhinder täglich geöffnet, außerhalb der Saison am Wochenende und an Feiertagen nur bei gutem Wetter.

Info: Chalet Westhinder, Westdijk, 8420 Wenduine, Tel: +32 50 41 58 55, www.westhinder.be  

Ein schöner Platz für den Fischgenuss im Freien: Die Terrasse am Oesterput © Oesterput

Habt Ihr Lust auf mehr Meer? Weitere Tipps zu Fischrestaurants rund um die belgische Küste findet ihr hier.

Flandern, Gent, Kultur, Meike Nordmeyer

Wenn der Kaffee unter den Füßen knirscht

Jubiläumsausstellung im S.M.A.K in Gent

von Meike Nordmeyer

Kaffee trinken kann man in fast jedem Museum in der zugehörigen Cafeteria. In der aktuellen Jubiläumsausstellung im S.M.A.K., dem Städtischen Museum für Aktuelle Kunst in Gent, geht mehr. Da lässt es sich auch auf Kaffee laufen und das ist eine besondere Erfahrung. Es ist ein bisschen wie am Strand, nur dass es dazu betörend duftet. Der brasilianische Künstler Artur Barrio hat seine Rauminstallation mit dem Titel „Interminável“ von 2005 für diese Sonderausstellung erneut realisiert. Der Boden in dem Raum ist komplett mit grob gemahlenen Kaffeepulver bedeckt. An einer Stelle ist sogar ein kleiner Hügel des körnigen Materials angelegt, und es gibt auch einen Berg aus Brot. In der Mitte ist ein Sofa aufgestellt, einzelne Leuchten sind im Raum verteilt.

Kaffeepulver bedeckt den Boden – der brasilianische Künstler Artur Barrio hat seine Rauminstallation mit dem Titel „Interminável“ von 2005 für die Sonderausstellung erneut realisiert. Foto: Meike Nordmeyer

Die Wände sind stellenweise mit Kaffeeflecken übersät und auch vollgekritzelt. All das macht den insgesamt spärlich beleuchteten Raum zu einem besonderen Ort von dichter Atmosphäre. Das dunkelbraune Kaffeepulver zeigt auch eine Anmutung von Erde und das sorgt für einen gewissen archaischen Charakter. „Es ist ein bisschen crunchy“, so bemerkt zudem eine Besucherin, als sie mit dem Fuß über den Boden schabt und damit ein knirschendes Geräusch erzeugt und verschiedene Striche in das Pulver am Boden zeichnet. „Jeder hinterlässt hier seine Spuren“, sagt Kunstdozent Antoon Lamon, der mich als Guide durch die Ausstellung führt.

Ich steh voll auf Kaffee im S.M.A.K. – das habe ich so noch nie gemacht. Foto: Meike Nordmeyer

20 Jahre S.M.A.K. – anlässlich dieses Jubiläums lädt das Museum derzeit zu einer großen Ausstellung unter dem Titel „Highlights for a Future – The Collection (1)“ ein, die eine Auswahl von 200 Arbeiten aus dem umfangreichen Sammlungsbestand von insgesamt 3000 Werken zeigt. Seit 1999 ist das Museum im ehemaligen Casino der Stadt untergebracht und hat damit seinen Standort direkt neben dem Museum für schöne Künste im Citadelpark. Das S.M.A.K. gilt als wichtigste öffentliche Sammlung belgischer und internationaler zeitgenössischer Kunst in Belgien. Strömungen wie Pop-Art, Konzeptkunst und Arte Povera sind beispielsweise vertreten. Es beherbergt Werke namhafter Künstler wie unter anderem Joseph Beuys, Marcel Broodthaers, Panamarenko, Jim Dine und David Hockney.

Der von Artur Barrio geschaffene Kaffeeraum hat mich gleich zu Beginn der Jubiläumsausstellung sehr beeindruckt. Der herbe Duft des Kaffees weht mir noch in der Nase und meine weißen Turnschuhe sind vom braunen Pulver bleibend berieselt – da bekommt die Bezeichnung „Coffee to go“ eine ganz neue Bedeutung. So ziehe ich nun weiter durch die Ausstellung und lausche den spannenden Ausführungen von Antoon.

Das Werk an der hinteren Wand stammt von der Künstlergruppe „Art & Language“. Es bezieht sich auf den Stil von Jackson Pollock und insbesondere auf das Gemälde „Guernica“ von Picasso. Auf dem Boden ist die Arbeit „Untitled (blue glitter) von Ann Veronica Janssens zu sehen. Foto: Meike Nordmeyer

In einem weiten, von einem Oberlicht erhellten Raum hängt ein großformatiges Bild, das nach Action-Painting aussieht und unmittelbar an die schwarz-weißen Bilder von Jackson Pollock erinnert. Das Werk der Künstlergruppe „Art & Language“ bezieht sich aber nicht nur darauf, sondern auch auf das Gemälde „Guernica“ von Picasso. Antoon weist mich darauf hin und zieht eine Abbildung dieses Gemäldes aus seiner Mappe hervor. Obwohl ich das berühmte Bild von Picasso gut kenne, hatte ich den Bezug in dem Gewusel der Striche nicht bemerkt. Doch jetzt tut sich was, die eingearbeitete Struktur gibt sich zu erkennen und entfaltet sich quasi vor meinem nun wissenden Auge.

Ich entdecke immer mehr Motive von Picassos Gemälde und kann nun gar nicht mehr verstehen, warum ich sie vorher nicht gesehen habe. Es ist beeindruckend, was für einen Vorgang des Sehens und Erfassens die entscheidende Information auslöst. Damit wird der künstlerische Prozess quasi durch den Betrachter vollendet – ein Effekt, den die Künstler in ihrem Werk angelegt haben.

Weiter gehts…

Ein anderer Raum im Obergeschoss beeindruckt zudem mit Exponaten besonders namhafter Künstler. Da hängen Arbeiten von Gerhard Richter, David Hockney und Chuck Close. Kleine und große Entdeckungen, bekannte und unbekannte Namen und ganz verschiedene Richtungen der zeitgenössischen Kunst – die Ausstellung hat eine große Bandbreite zu bieten. Es geht bei dieser Auswahl gerade um die Vielfalt der künstlerischen Positionen in der zeitgenössischen Kunst. Dabei zeigt die Ausstellung die Werke nicht etwa nach Entstehungszeit und Kunstströmung sortiert. Eine davon unabhängige Anordnung will neue Bezüge und Gegenüberstellungen herstellen und wirkt damit besonders anregend. Dementsprechend voller Eindrücke komme ich aus der Ausstellung und denke nun gleich wieder an Kaffee. Diesmal möchte ich ihn aber nicht am Boden, sondern in der Tasse. Ich stärke mich im Museumscafé erstmal mit einem Cappuccino.

Derzeit werden noch einige Tafeln des Genter Altars im Museum für schöne Künste, dem MSK Gent restauriert. Hier sind vier der Außentafeln in der Werkstatt der Restauratoren zu sehen. Foto: Meike Nordmeyer

Nun lockt noch viel mehr Kunst in der Stadt zu weiteren Besichtigungen. Das Museum für schöne Künste, das MSK Gent, mit Werken vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert liegt gleich neben dem S.M.A.K. Und in der Altstadt gibt es in Sachen Kunst noch ein absolutes Highlight zu erleben: In der St.-Bavo-Kathedrale kann der legendäre Genter Altar besichtigt werden. Das Gemälde mit dem Titel „Die Anbetung des Lamm Gottes“ wurde von den Gebrüdern Van Eyck im 15. Jahrhundert geschaffen. Es gilt als eines der wichtigsten Kunstwerke des ausgehenden Mittelalters.

Wegen seiner enormen kunstgeschichtlichen Bedeutung und ebenso aufgrund einer langen, sehr verwickelten Reihe von mehrfachem Kunstraub zu späteren Zeiten ist es weltberühmt. Nach seiner wechselvollen Geschichte hängt das alte Gemälde nun fast vollständig wieder in der Kirche, für die es einst geschaffen wurde und kann dort besichtigt werden. Also, einen Kaffee zur Stärkung trinken und hingehen!

Derzeit werden übrigens noch einige Tafeln des Genter Altar im MSK restauriert. Im kommenden Jahr werden anlässlich des Van Eyck-Jahrs 2020 ab 1. Februar die Außentafeln des Genter Altars im MSK im Rahmen einer umfangreichen Ausstellung zu dem Künstler Jan Van Eyck gezeigt. Die acht Tafeln wurden noch nie in einer Ausstellung gezeigt. Sie werden damit zum ersten Mal mit anderen Werken von Jan van Eyck und seinem Atelier zusammengebracht. Im Mai 2020 kehren die Tafeln dann in die St.-Bavo-Kathedrale zurück. Damit ist dort wieder das (bis auf eine verschollene Tafel) komplette Polyptychon, also der vielteilige Flügelaltar zu sehen.

Weiterführende Informationen…

Mehr zu der Ausstellung „Van Eyck – An Optical Revolution“ ab 1. Februar 2020 gibt es hier

Die Jubiläumsausstellung im S.M.A.K. ist schon eröffnet und noch bis zum 29. September 2019 zu sehen. Mehr Infos

Brüssel, Flandern, Jan-Kai Vermeulen, Kultur, Neu auf dem Flandern-Blog

Bei Bruegel, mit Bruegel, wie Bruegel und Bruegel ohne Bruegel

von Jan-Kai Vermeulen

Pieter Bruegel der Ältere lässt sich schon seit Jahren erradeln – auf der Bruegelfietsroute im Pajottenland westlich von Brüssel. Hier war der große Meister häufig mit Pinsel und Leinwand unterwegs, hier hat man später zahlreiche Motive aus seinen epochalen Bildern entdeckt. Jetzt, im Jahr des 450. Todestages (9.9.1569), bietet die Tour einige sehr besondere Attraktionen. Ich mache mich mit meinem Bike auf den 45 Kilometer-Rundkurs.

Die Bruegel-Kirche Sint-Anna Pede, Foto Toerisme Pajottenland & Zennevallei, Luc Bohez

Startpunkt früh am Morgen ist das Besucherzentrum von Sint-Anna-Pede, wo mich bei Rückkehr einer der Höhepunkte der Tour erwarten wird. Los geht es über meist asphaltierte Feldwege meist jenseits vom Autoverkehr. Die Landschaft ist sehr kleinteilig: Wiesen, Äcker, Gehöfte, niedrige Buchenhecken, die Wäldchen, als wäre alles ein Spielzeugland. Plötzlich stehen massive Holztafeln mit Bruegel-Bildern am Rand, ohne Vorwarnung, also Vollbremsung aus der rollenden Behaglichkeit. Hinweise erläutern, was der Meister der postmittelalterlichen Wimmelbilder hier (vermutlich) gemacht hat. Bruegel hat seine Werke – Landschaften, drastische Horrorphantasien oder das beschauliche Dorfleben seiner Zeit – gern aus Collagen vieler Motive komponiert: wilde Kulissen, auch alpine Schroffheiten, Phantastisches – und eben die sanfte Milde des Pajottenlandes. Bruegel, der malende Landschafts-Erfinder.

Eine Augenweide: Floralia rund um Schloss Groot-Bijgaarden

Schloss Groot-Bijgaarden am Rand von Dilbeek liegt drei Kilometer abseits der Radroute. Macht nichts, der Abstecher ist es mir wert. Im Schlosspark ist gerade, wie jedes Jahr, die Floralia gestartet: Mehr als eine Million Blumenzwiebeln sind in der Erde versenkt. Eine Million! Tulpen, Hyazinthen, Narzissen, Gladiolen, dazu seltene Orchideen: Alles was Bruegel an Farben auf der Palette hatte, haben Züchter heute in ihre Blumen gezaubert. Und Bruegel selbst ist in diesem Jahr hier auch allgegenwärtig.

20 seiner berühmtesten Bilder sind im Gelände verteilt, naturnah eingebettet in Arrangements von Blüten, Blättern, Installationen: Getrocknete Blumen und Weizenähren umrahmen zum Beispiel das Bild „Die Kornernte“ im sehr französischen Terrassengarten. Was nicht auf die 14 Hektar Wiesen passte, kam blühend in Gewächshäuser – und dazu etwa Bruegels „Die tolle Grete“ inmitten von rosa Heckenrosen-Ranken. Der 1. Stock des Schlossturms ist als Ess-Saal hergerichtet zum Bild „Die Bauernhochzeit“. Drumherum ist Lavendel ausgelegt. Also: Bruegel riecht auch gut.

Weiterlesen …
Flandern, Kirsten Lehnert, Kulinarik, Mechelen

Als die Beginen zu brauen begannen

von Kirsten

Was haben die Beginen, Karl V. und Bier gemeinsam? Sie alle spielen eine Rolle in einer Geschichte aus Flandern. Ort des Geschehens ist Mechelen, das malerische flämische Städtchen mit seinen über 300 denkmalgeschützten Gebäuden – ein wahres Freilichtmuseum der Renaissance. Und die Geschichte beginnt an einem dieser besonders geschichtsträchtigen Plätze, dem Großen Beginenhof. Er zählt heute als einer von 12 Beginenhöfen in Flandern zum UNESCO-Weltkulturerbe. In dieser malerischen Anlage jedenfalls, bei der kleine Wohnhäuser samt Kapelle einen begrünten Innenhof umschließen, lebten die Beginen an der Grenze von Ordensleben und Laientum.

Das bessere Trinkwasser

Blick in den Beginenhof (c) Visit Mechelen, Koen Broos

Damals gab es hier auch ein Hospital und da das „Trinkwasser“ im Mittelalter bekannterweise selbst Gesunde umhauen konnte, begannen die hier lebenden Ordensschwestern 1471 damit, Bier zu brauen, um damit Kranke und Alte zu versorgen. Das gilt als die Geburtsstunde einer Brauerei, die heute zu den ältesten in Belgien zählt. So erklärt sich auch, warum die Brauerei, die heute eine der Attraktionen der Stadt ist, in der Krankenstraat – inmitten des Großen Beginenhofes – liegt.

Bier für Helden

Schon bald erweiterte die Brauerei ihre Kreise und braute 1491 ein Starkbier eigens für die Ritter, die sich aufmachten, das Goldene Fließ zu finden: das „Gouden Carolus Tripel“. Diesen Namen (Goldener Karl) erhielt es zu Ehren von Kaiser Karl IV, dem letzten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, der in den burgundischen Niederlanden geboren wurde und in Mechelen aufwuchs.

Weiterlesen …